Kulturbrauerei

Wie der Streit zwischen "Dicht & Ergreifend", der Kulturbrauerei und Franz Ammer begann

Der Tunzenberger Kulturverein verliert seine Heimat, die Kreativen und der neue Schlossherr können nicht miteinander. Über unvereinbare Vorstellungen von Kultur, Vorurteile, Tränen und dennoch etwas Hoffnung.


Das war's: "Tanz am Berg", das Festival des Vereins, wird nicht mehr stattfinden.

Das war's: "Tanz am Berg", das Festival des Vereins, wird nicht mehr stattfinden.

Am 8. Juli hört Franz Ammer seinen Namen, als er nachts durch die Dingolfinger Innenstadt fährt. Die Juli-Hitze drückt durch sein offenes Autofenster, mit ihr weht sein Name vom Marienplatz herüber. Dort feiern die Hip-Hopper von "Dicht & Ergreifend" beim Dingfest mit gut 4.000 Menschen, der Stadtplatz ist brechend voll. Die Fans warten gerade auf die Zugabe der "Dichtis", die Niederbayern-Hymne "Wandadoog". Doch zuerst kippen die mit größten Pop-Stars, die Niederbayern in den vergangenen zehn Jahren hervorgebracht hat, einen verbalen Mistkübel über Franz Ammer aus.

Der parkt sein Auto, steht am Rand, sieht sein Gesicht auf der Leinwand. Die Menge buht, manche schreien "Raus die Sau!". Der Vorwurf: Ammer, der neue Eigentümer des Tunzenberger Schlosses samt ehemaliger Brauerei, zerstöre mit seinen Umbauplänen das Kulturzentrum, das dort entstanden ist.

Beim Dingfest haben "Dicht & Ergreifend" und Kulturbrauerei-Freunde den Erhalt ihrer musikalischen Heimat gefordert.

Beim Dingfest fordern "Dicht & Ergreifend" und Kulturbrauerei-Freunde den Erhalt ihrer musikalischen Heimat.

Franz Ammer vor seinem Schloss.

Franz Ammer vor seinem Schloss.

Die Demütigung an jenem Montag ist der zwischenzeitliche Höhepunkt des Konflikts, bei dem zwei grundverschiedene Welten aufeinanderprallen. Für Ammer ist der Schloss-Kauf die Erfüllung eines Lebenstraums, für die Kreativen die Vertreibung aus ihrem Paradies.

Danach wird das Areal nicht wiederzuerkennen sein

Der Verein Kulturbrauerei kämpft um seinen selbst verwalteten Freiraum, den er dort in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut hat, der einzigartig ist in der Region: Kreativ-Ateliers in den hohen Räumen des ehemaligen Sudhauses, Bandräume im vierstöckigen Brauturm und ein charmant-ranziger Eventraum für Partys und Konzerte. Zu "Tanz am Berg", dem Festival des Vereins, kommen im Sommer jedes Jahr Hunderte Gäste, hören auf der Freiluft-Bühne Bands von hier, aus München, aus Wien, umsäumt von Jahrhunderte alten Platanen, Eichen und Ahornbäumen, abseits stolzieren freilaufende Pfauen und tanzen Glühwürmchen.

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Bei "Tanz am Berg" treffen sich Kultur-Begeisterte aus der ganzen Region - und die Bürger Tunzenbergs.

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Dem gegenüber: Der neue Eigentümer von Schloss, Brauerei und Festwiese, Franz Ammer. Der 62-Jährige hat Unternehmen mit zweistelligem Millionen-Umsatz aufgebaut, darunter Donaugemüse und Mamminger Konserven. Er pocht darauf, die alte Brauerei genehmigungsfähig zu sanieren. Auf der Festwiese plant er einen Biergarten Münchner Art für Ausflugsgäste, ins alte Sudhaus soll eine Showbrauerei kommen. Der Konzertraum soll abgerissen werden, zwischenzeitlich war dort ein neuer Glaspavillon geplant.

Ammer: "Gestern, das tut verdammt weh"

Beide Seiten sehen sich missverstanden, auf Vorurteile reduziert: Die Musiker und Künstler als linksversiffte Kiffer, Ammer als herrischer Millionär. Aber so einfach ist es nie - und in dieser Geschichte schon gar nicht.

Am Dienstagmorgen nach der Schmach beim Dingfest sitzt Ammer im Innenhof seines Schlosses, raucht Zigarillo, um ihn wuseln Arbeiter. Er sitzt da, der gedemütigte "Gurkenkönig", und wischt sich Tränen aus dem Gesicht. "Gestern, das tut verdammt weh", sagt er. "Ich hoffe nur, meine Kinder haben davon nichts mitbekommen." Er sei nicht mehr so belastbar, sagt er, seit einem Autounfall vor vielen Jahren, bei dem er fast gestorben wäre. Nach Wochen im Koma habe er eine Wiederauferstehungsparty gefeiert. Das Schloss ist auch Ammers Vermächtnis an Kinder und Enkel. "Es ist doch klar, wenn man sich selber was aufgebaut, was erarbeitet hat, dass man dann was hinterlassen will? Oder?", fragt er fast flehend.

Ammer im Innenhof seines Schlosses

Ammer im Innenhof seines Schlosses

Etwas weitergeben, das wollen auch die Mitglieder des Vereins Kulturbrauerei. Gerade wächst die dritte Generation derer auf, die dort alternative Kultur erleben sollen. Als der Verein 2014 begann, in der ehemaligen Brauerei Musik zu machen, habe man nur den Eventraum betreten können, erzählt ein Gründungsmitglied, das anonym bleiben will. Durch die anderen Räume führten kleine Trampelpfade: Einer der Vorbesitzer, ein Schrotthändler, habe im Gebäude jahrelang Gerümpel eingelagert. Verpachtet war die Brauerei zeitweise an einen Künstler, der selbst allerlei Zeug für seine Kunst sammelte, sich auslebte.

Damals waren die Decken undicht, an den Wänden Schimmel, auf der Festwiese sei Gras über den Müll gewachsen. Container um Container hat der Verein darum abtransportiert - die Brauerei in jahrelanger Arbeit nutzbar gemacht. Sie wurde zu einer neuen Heimat für alternative Kultur in der Region. Denn einige der Vereinsgründer waren Vertriebene: In Straubing hatten sie die alte Dietl-Brauerei verloren, zuvor die Kulturkneipe "Alte Linde", in Dingolfing die Alternativ-Disco "Strich 8". Das Los alternativer Kultur: Immer rinnt Sand durch die Uhr - man weiß nie, wie lange es geht, ob das gerade die guten, alten Zeiten sind, denen man vielleicht bald nachtrauern wird.

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Die ehemalige Brauerei.

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Der Anbau am Brauerei-Turm.

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Ein Bandraum.

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Das Atelier im ehemaligen Sudhaus.

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Ein Aufenthaltsraum neben dem Eventraum.

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Teil des Kreativ-Ateliers.

Räume freigeschaufelt, ihnen Seele eingehaucht

Dass das so nicht für immer ist, war absehbar. Der Band-Turm hat keine Fluchttreppe, Stromleitungen sind teils abenteuerlich verlegt, in ungenutzten Räumen türmt sich immer noch Graffel. Das prangert Franz Ammer als lebensgefährlich an, seit er das Gelände zum 1. April gekauft hat. Bei einem Rundgang ist er kaum zu beruhigen: "Wenn einen der Strom daschlagt, wenn einer im Feuer stirbt, werde ich verurteilt und vielleicht eingesperrt!" Er will genehmigungsfähig umbauen, dem Gelände zu altem Glanz verhelfen. Ammer sagt zu, der Verein dürfe nach Umbau in drei Bandräumen weitermachen, er werde ein Holzhaus aufs Grundstück stellen als Ersatz für den Konzertraum und eine Töpferwerkstatt einrichten.

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Ammer führt durch die Kulturbrauerei.

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Hinein in den Eventraum mit Bühne. Er findet keinen Lichtschalter.

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Das Ende der Treppe im Brau-Turm.

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Ammer auf dem Dachboden.

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Ammer kritisiert den fehlenden Sturz-Schutz an der Treppe.

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Ammer zeigt einen Ofen.

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Gerümpel im Keller.

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Ein Raum im Keller ist voller Müll und Styropor.

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Ammer führt durch den Schlossgarten.

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Er hat neuen Rasen verlegen lassen, die Wege sind neu aufgestreut.

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Hier sollen Tagungen und Hochzeiten stattfinden.

Vereinsvertreter nennen die Vorschläge zwar "löblich". Doch sie wollen nicht geduldet sein, sie wollen ihr eigenes Ding machen. Ihre Räume haben sie sich freigeschaufelt, ihnen eine Seele eingehaucht, dekoriert mit Pfauenfedern aus dem Schlosspark und alten Radios, Kaffeesäcken und Schmuckstücken, die Künstler und Schrotthändler seinerzeit zurückgelassen haben.

Zwei Vorstellungen von Kultur, die unvereinbar scheinen. Und zwei Kommunikationsstile: Ammer braust gerne mal auf, langt verbal zu - der Verein dagegen ist mit seiner unverbindlichen Struktur nur schwer zu fassen.

Am Morgen nach dem Dingfest sitzt Ammer im Innenhof seines Schlosses, vor sich eine Vereinbarung. Sie garantiert dem Verein die Nutzung bis 31. August. Der letzte Satz: Ammer könne, steht da, jederzeit fristlos kündigen. "Nach gestern, was würden Sie tun?", fragt er.

Heute, einen Monat später, sagt Ammer, er habe nicht gekündigt. Warum nicht? "Weil ich Charakter habe. Ich hab das mit denen ausgemacht." Kündigen muss er aber gar nicht mehr. Die letzten Gitarrenverstärker sind seit Juli raus, unter Tränen. Das "Tanz am Berg", das ein letztes Mal hätte stattfinden sollen, hat der Verein abgesagt.

Jetzt baut sich der Kulturverein anderswo etwas Neues auf, wieder nach eigenen Regeln. Die zehn Jahre Erinnerungen kann ihnen niemand nehmen. Vielleicht inspiriert ihre Geschichte jemanden, sich zu engagieren, sagen sie. Wenn in einem Dorf ein Laden leersteht, ein Aldi, irgendwas, solle man doch zusammen etwas daraus machen. Das ist die Botschaft aus Tunzenberg: Es geht. Wenn auch nicht für immer, aber doch für zehn Jahre.