Jugendszenen

Gemeinsame Interessen als Basis


Foto: www.jugendkulturforschung.de

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Philipp Ikrath ist Jugendforscher beim Verein Jugendkulturforschung und Kulturvermittlung mit Sitz in Hamburg und Wien. Der Verein wurde im Jahr 2007 gegründet und ist auf die praxisorientierte Jugendforschung spezialisiert. Als Institut führt der Verein Studien und Umfragen mit Jugendlichen durch. Dabei werden auch Szenen erforscht. Warum sich Jugendliche für einen außergewöhnlichen Lebensstil entscheiden und welche Vor- und Nachteile das für sie hat, erzählt der 33-Jährige im Interview mit Freistunde.

Herr Ikrath, warum nehmen Jugendliche den Stil einer Szene an und entscheiden sich zum Beispiel dazu, Punk zu werden?

Philipp Ikrath: Früher hat man sich einer bestimmten Gesellschaftsschicht zugehörig gefühlt. Dadurch bildeten sich Gruppen. Diese waren meist geprägt von derselben politischen Einstellung und dem gleichen Glauben. Heute identifizieren sich Jugendliche aber oft nicht mehr mit diesen Gruppen. Trotzdem bleibt der Mensch ein Herdentier und will zu einer Gemeinschaft dazugehören. Und da bietet es sich natürlich an, wenn man Gleichgesinnte sucht, die den gleichen Lebensstil leben und Freizeitinteressen teilen, also zum Beispiel die gleiche Musik hören oder denselben Sport betreiben. Auch wollen sich Jugendliche von ihren Eltern abgrenzen, selbstständig werden und sich von Vater und Mutter emanzipieren.

Welchen Vorteil bringt es den Jugendlichen, wenn sie sich für eine Szene entscheiden?


Ein Vorteil dabei ist, dass man den Lebensstil heute frei wählen kann. Ich kann also entscheiden, ob ich mich der Hip-Hop-Szene anschließe, wenn ich gerne Hip-Hop höre. Früher konnte man nicht wählen. Man übernahm den Lebensstil der Eltern, weil es keine Alternativen gab. Außerdem geht es in einer Szene darum, als Gruppe Spaß zu haben. Diesen Spaß hat man oft nicht, wenn man sich beispielsweise mit Politik oder den Eltern auseinandersetzt.

Gibt es auch Nachteile und Gefahren?


Eine unmittelbare Gefahr gibt es nicht. Ein Problem ist aber, dass soziale Bindungen zwischen den Menschen schwächer sind als früher. Das kommt davon, dass viele Jugendliche sechs bis sieben Szenen parallel angehören. Dadurch fällt man schneller wieder aus den Gruppierungen raus. Früher dagegen hat man sich gegenseitig kontrolliert und aufeinander aufgepasst. Heute leiden die zwischenmenschlichen Beziehungen. Radikale Szenen sind dabei meist weniger die Gefahr, weil diese eher winzig und unbedeutend sind.

Was macht eine Jugendszene aus?

Eine Szene besteht immer auf der Basis gemeinsamer Interessen. Außerdem kleiden sich die Mitglieder ähnlich. Jugendszenen sind zudem nicht lokal begrenzt, sondern überregional oder meist auch global vertreten. Das heißt, man erkennt Hip-Hopper in Amerika genauso wie bei uns in Deutschland. Außerdem nutzen die Szenen in den verschiedenen Ländern gemeinsame Medien, um miteinander zu kommunizieren.

In welchem Alter entscheiden sich Jugendliche für eine Szene?

Meistens entscheiden sich junge Menschen zwischen dem 14. und 18. oder 19. Lebensjahr für eine Szene. Bevor sie 14 Jahre alt werden, fangen sie an, in verschiedene Szenen hineinzuschnuppern. Mit etwa 19 Jahren verlassen sie dann die Szenen meist schon. Das kommt davon, dass sie weniger Zeit haben. Als Mitglied einer Szene braucht man aber viel Freizeit, um beispielsweise auf Konzerte zu fahren. Und werden die Jugendlichen älter, beginnen sie in der Regel einen Vollzeitjob und da wird das schwierig.

Hat die Familie einen Einfluss auf die Wahl der Szene?

Ja, aber nur einen mittelbaren. Oft beeinflussen die familiären Verhältnisse die Bildung eines Jugendlichen. So gibt es Szenen, in denen man gut gebildete Mitglieder vorfindet, aber auch Szenen mit weniger gebildeten Anhängern. Es kann auch vorkommen, dass die große Schwester oder der große Bruder einer Szene angehören und dass man sich deswegen auch für deren Szene entscheidet.

Sind die Grenzen zwischen den Szenen fest?

Nein, die Übergänge sind fließend. So kommt es vor, dass man in der Skaterszene zum Beispiel einen ähnlichen Musikgeschmack hat wie die Mitglieder der Punkoder Metalszene.