Alle starren sie an und hören ihr gebannt zu. Das Scheinwerfer-Licht ist auf sie gerichtet. Hannah hat dunkelbraunes, langes Haar, das sie an diesem Abend zu einem Zopf zusammengebunden hat. Sie trägt eine grüne Strickjacke und hält ein paar Zettel in der Hand. Die 16-Jährige kommt aus Steinach im Landkreis Straubing-Bogen und gehört zu den zehn Poeten, die am vergangenen Samstag, 29. November, beim Poetry Slam "Freischnauze" in Straubing angetreten sind. Wie sich später herausstellt, gewinnt sie das Wortgefecht.
Den modernen Dichterwettstreit haben das Straubinger Jugendzentrum und die Jugendredaktion Freistunde im Anstatt-Theater in Straubing organisiert. Außerdem wurde die Veranstaltung im Rahmen der Zukunftswerkstatt des lokalen Aktionsplans der Stadt Straubing und vom Integrationsprojekt "IDEE" (Integration durch ehrenamtliches Engagement) des Straubinger Jugendzentrums unterstützt. "Als ich von dem Poetry Slam gelesen habe, dachte ich mir, dass ich da mitmachen könnte", erzählt Hannah am Tag nach ihrem Sieg, an dem Freistunde sie besuchte. In die Finalrunde schaffte es die junge Künstlerin mit einem nachdenklichen Text. "Ich finde, wir sollten mehr zu uns selber stehen", sagt sie. "Dazu habe ich diesen Text geschrieben." Er sei auch autobiografisch, wie die Jugendliche erklärt: "Ich bin in gewisser Hinsicht anders. Ich spiele Trompete, Klavier und habe jede Woche Leichtathletik-Training. Meine Tage sind also sehr voll und ich nutze jede Minute." Dafür muss sich Hannah oft rechtfertigen. Viele verstehen nicht, warum sie ihre Freizeit so vollstopft. "Genau in diesem Moment muss ich eben zu mir selbst stehen", erklärt Hannah.
Im Finale, in dem sie gegen den 24-jährigen Sebastian Stopfer aus Landshut und die jüngste Teilnehmerin, die 13-jährige Anna Pellkofer aus Elisabethszell, antrat, hat sie einen weiteren nachdenklichen Text vorgetragen. "Dieser war viel schwieriger zu schreiben, weil ich von dem ersten so sehr überzeugt war", erinnert sich Hannah. Sie habe sogar kurzfristig überlegt, die sieben Minuten Redezeit, die jedem Poeten zur Verfügung stehen, mit sinnlosem Gerede zu füllen. "Aber dann habe ich herausgefunden, dass an dem Samstag, an dem der Poetry Slam stattfand, Welttag der elektronischen Grußkarte war", erzählt Hannah. Und das greift sie in ihrem Text auf: "Ich habe versucht, etwas Sinnvolles über etwas Sinnloses zu schreiben", sagt sie. Dadurch sei sie auf das Thema Humor gekommen. Humor muss nicht immer etwas Sinnvolles sein, findet sie. "Aber von dem Humor sollten wir uns inspirieren lassen", merkt die 16-Jährige an. Für sie sei es wichtig, dass der Mensch nicht in jeder Minute seines Lebens etwas Sinnvolles machen sollte. "Es ist vielleicht besser, wenn es anders ist. Vielleicht ist das Leben dann einfacher", erklärt sie. Auch dieser Text hat wieder mit Hannahs Leben zu tun. "Darauf gekommen bin ich, weil ich nach der Schule Trompetenunterricht habe, anschließend Hausaufgaben mache und dann noch ins Leichtathletik-Training gehe", sagt sie. Sie wünsche sich manchmal eine Zeit, in der sie einfach nichts macht.
Das Publikum war begeistert von Hannahs Texten. Sie stimmten am Ende über den besten Poeten des Abends ab. Mit einem Abstand von rund 70 Stimmen gewann Hannah. Rund 160 Gäste waren anwesend. Alle Plätze im Straubinger Anstatt-Theater waren besetzt.
Auch Dominik Erhard, bayerischer U20-Meister im Poetry Slam, war begeistert von dem Auftritt der 16-Jährigen. Der Münchner saß in der fünfköpfigen Jury, die die zehn Poeten in der ersten Runde bewertete. Die drei Teilnehmer mit den meisten Punkten zogen ins Finale ein. Außerdem trat Dominik Erhard selbst mit zwei Texten aus seiner Feder auf. "Es war wirklich ein super schöner Abend", sagt der 21-Jährige. Er sei überrascht gewesen, wie vielfältig die Texte an dem Abend waren. "Vor allem die von denen, die zum ersten Mal auf einem Poetry Slam aufgetreten sind."
Auch Hannah stand am Samstag zum ersten Mal auf einer Slam-Bühne. Zu dieser Form der Poesie ist sie durch ein Schulprojekt gekommen. "In unserem Französisch-Buch gab es im vergangenen Schuljahr in der zehnten Klasse ein Kapitel zum Thema Poetry Slam", erinnert sich die Schülerin. Daraus habe die Klasse ein einwöchiges Projekt gemacht. "Wir durften in Deutsch, Spanisch, Englisch und Französisch Texte schreiben. Am Ende der Woche haben wir vor einer Kamera geslamt", erzählt Hannah. Ihr war wichtig, dass sich ihre Texten reimen. Das gehört für die 16-Jährige zu einem Poetry Slam dazu.
Auf ihrem Erfolg beim Straubinger Dichterwettstreit will sich Hannah nicht ausruhen. "Sebastian hat mich zum Poetry Slam in Landshut eingeladen", erzählt sie. "Vielleicht trete ich ja da auch mal auf."
Hier gibt's Videos von Hannahs Auftritten:
Die Videos der anderen Teilnehmer beim Poetry Slam 2014