Freischreiben
Liebe ist... – Eine Kurzgeschichte von Stefanie Schambeck
10. März 2017, 15:24 Uhr aktualisiert am 10. März 2017, 15:24 Uhr
Wir alle haben unser eigenes kleines Kind in uns. Unsere kleine Seele. Sie wohnt hoch oben auf einem Hügel. Bei Sonnenschein freut sie sich, breitet ihre Flügel aus und tollt herum. Kommen ein paar Regentage, zieht sie sich in ihr Haus zurück und wartet, bis der Sturm vorüber ist, ehe sie wieder voller Tatendrang nach draußen strömt. Manchmal kann das Kind aber auch fallen. Weit hinunter in einen tiefen Abgrund. Dort bleibt die kleine Seele liegen, rollt sich zusammen und gibt sich der grenzenlosen Dunkelheit hin. Zu schwach, um ihre Flügel auszubreiten und wieder ins Sonnenlicht zu fliegen.
Gleich auf den ersten Blick hat er ein Gefühl in mir ausgelöst. Als er zum ersten Mal den Klassenraum betreten hatte, fühlte ich mich irgendwie zu ihm hingezogen. Christoph ist gerade mit seinen Eltern von Frankfurt nach München gezogen. Er hat unglaublich schöne dunkle Augen, kurze dunkelbraune Haare und eine sportliche Figur. Seine Armmuskeln zeichnen sich immer deutlich ab, wenn er ein T-Shirt trägt.
Ich hatte schon ein paar Dates, doch aus keinem wurde mehr. Die Enttäuschungen förderten mein Selbstvertrauen auch nicht gerade. Weil ich mich auch immer für die Sorte Jungs interessieren musste, die schon vergeben waren... Aber dieses Mal - daran hielt ich fest - könnte es klappen.
Jeden Tag sehe ich ihn also schräg vor mir sitzen. Und jeden Tag denke ich das Gleiche: Ich will seine Aufmerksamkeit. Deshalb habe ich mir ein paar Strategien zurechtgelegt: langsam vor ihm hergehen, ihn anlächeln, seinen Blick suchen.
Während der Deutschstunden stelle ich mir vor, wie wir draußen auf einer Bank sitzen und quatschen. Und in Physik denke ich darüber nach, wie es wäre, ihn zu küssen. Alles zunächst möglichst unauffällig. Leider konnte man aber vor Sandra und Lisa, meinen Freundinnen, nichts verbergen.
Schon bald hatten sie mich zur Rede gestellt und auf mich eingeredet: Wir würden ein super Paar abgeben, ich solle nicht so schüchtern sein, sondern aktiv werden. So sehr ich mich auch bemühe, nichts wollte helfen.
Die Tage vergehen, ohne dass ein Fortschritt auszumachen wäre. Ich dachte, ihm die kalte Schulter zu zeigen, würde helfen. Oder nach der Schule extra langsam das Klassenzimmer zu verlassen, um ihn so lange zu sehen, wie es eben ging. Jeden Abend liege ich viel zu lange wach, weil ich an ihn denken muss. Und ich denke an den Wunsch, endlich mal einen Freund zu haben.
Bis zu diesem einen Moment.
Ein toller Tag: Unsere Blicke haben sich doch tatsächlich einmal getroffen und er hat mich angelächelt - totales Herzklopfen. Es läutet zum Schulschluss. Langsam packe ich meine Sachen zusammen, um anschließend zu meinem Fahrrad zu schlendern, noch ganz in Gedanken bei den paar Sekunden, die uns gehört haben.
Und da sehe ich sie.
Christoph hat den Arm um ein blondes Mädchen geschlungen. Und er küsst sie. Das Fahrradschloss entgleitet meinen Händen. Ich starre auf den Menschen, für den ich zu schwärmen begonnen hatte, mich sogar ein bisschen verliebt hatte. Augenblicklich steigen mir Tränen in die Augen, ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals. Es fühlt sich an, als würde man mit voller Wucht gegen eine Mauer laufen und bewusstlos und verletzt liegen bleiben.
Unfähig gleich nach Hause zu fahren, um meiner Mutter unter die Augen zu treten, schreibe ich ihr eine SMS, dass ich mich noch mit Lisa zum Eisessen treffe. Mit verschwommenen Augen fahre ich zum nahe gelegenen Park, um dort in einem ruhigen Eck meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.
Warum tut das immer so weh?
Mein Herz zieht sich zusammen und es fühlt sich an, als würde mich die ganze Welt erdrücken. Schon ein paar Mal habe ich dieses "Entlieben" mitgemacht. Aber mit jedem weiteren Mal schien es schwerer zu sein.
Wie konnte ich nur gedacht haben, dass sich so jemand für mich interessiert? Gutaussehende, beliebte Jungs hatten doch immer eine Freundin. Und ich hatte mir erneut etwas vorgemacht. Vorgemacht, endlich mal für jemanden interessant zu sein und wahrgenommen zu werden. Wie gerne würde ich meine Gefühle einfach ausschalten, um diesen Schmerz nicht mehr fühlen zu müssen.
Ich fürchte mich vor morgen. Ich fürchte mich davor, ihn zu sehen. Wieder heißt es, Zähne zusammenbeißen, aufstehen und weitergehen.
Doch jede Enttäuschung hinterlässt einen kleinen dauerhaften Schnitt auf dem Arm deines Kindes, deiner Seele.