Alltag einer Blinden
So lebt Franziska Sgoff mit ihrer Behinderung
18. Juli 2019, 15:54 Uhr aktualisiert am 18. Juli 2019, 15:54 Uhr
Mit Karte zahlen oder einen Bad-Hair-Day mit einem Kamm besiegen. Für die meisten von uns ist das selbstverständlich. Franziska Sgoff braucht dazu Hilfe. Sie ist blind.
Franziska nimmt die Gabel unten bei den Zacken. Mit Zeigefinger und Daumen tastet sie nach dem Inhalt ihres Tellers. "Die Wurst liegt auf halb sechs und der Salat auf elf." Ihre Mutter sagt ihr, wo das Essen auf dem Teller liegt. Dazu nutzt sie den Uhr-Trick. Selbst sehen kann Franziska nicht. Die Essecke ist nur ein kleiner Teil des Hauses, indem Franziska Sgoff mit ihren Eltern in Freising wohnt. Aber auch hier findet sich die 22-Jährige ohne Blindenstock zurecht.
Blind sein hindert sie nicht daran, Dinge auszuprobieren
Franziska ist von Geburt an blind. Das ist jedoch kein Grund, unsicher zu sein. Gemeinsam mit ihrem Vater fährt sie Tandem, im Winter hat sie schon einen Snowboardkurs belegt.
Zwar mit Stock, aber ohne Begleitung geht sie durch ihre Wohnsiedlung. In dem kleinen Lebensmittelladen im Ort kauft sie alleine ein. In München hat sie eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin absolviert. Wenig später erhielt sie durch Zufall die Möglichkeit, für sechs Monate ein Praktikum bei Microsoft zu machen. Franziskas Aufgabe war es, Produkte auf Barrierefreiheit zu testen. Mithilfe ihrer Anmerkungen hat das Unternehmen die Anwendungen angepasst. Eine ähnliche Aufgabe hat sie bei der Inclusify AG in Nürnberg, bei der sie einen Minijob hat. Sie arbeitet von zuhause aus. Neben der Betreuung der Social-Media-Kanäle, wird sie in die Produktentwicklung miteinbezogen. Dabei ist ihr klar geworden, wie groß der Bedarf an Aufklärung ist. "Toll, dass ich Leuten die Augen öffnen darf." Deshalb hält sie auch Vorträge auf Festivals, Messen und Kongressen, die sich den Themen Inklusion und Barrierefreiheit widmen.
Franziska gibt Einblick in ihre Welt als Blinde
Nicht nur als Produkttesterin gibt Franziska einen Einblick in die Welt der Blinden. Das tut sie auch mit ihrem Buch, das sie bald veröffentlichen will. Seit sie 13 Jahre alt ist, arbeitet sie daran. Die Hauptfiguren: drei Freundinnen, davon eine blind. Zunächst schreibt sie nur zum Zeitvertreib. Dann fragt sie bei einem kleinen Verlag an. Der ist von der Geschichte begeistert und will mit ihr zusammenarbeiten. Durch Crowdfunding finanziert sie die Veröffentlichung. Bekommt sie genügend Geld zusammen, kann sie das Buch auch in Blindenschrift drucken lassen. Lesen ist ihr wichtig, auch hier erkennt sie einen Vorteil für sich: "Ich kann sogar im Dunkeln lesen."
So wie ihre Hauptfigur im Buch hat Franziska sowohl blinde, als auch sehende Freunde. "Und Freunde für bestimmte Anlässe." Mit einer Freundin geht sie auf Poetry Slams und Konzerte, mit einer anderen shoppen. Dabei befühlt Franziska die verschiedenen Stoffe. Bei den Farben vertraut sie auf ihre Freundin: "Wenn sie sagt, mir steht die Farbe nicht, glaube ich ihr." Farben fühlen oder erkennen kann sie nicht. Sie versucht, sie sich vorzustellen: "Grün ist für mich zum Beispiel eine warme Farbe. Weil das Gras im Sommer grün blüht."
Ob es hell oder dunkel ist, kann Franziska nicht erkennen. "Ich merke, wenn die Sonne scheint. Aber ich glaube, dass ich eher die Wärme spüre, als dass ich das Licht sehe."
Die 22-Jährige lernt gerne neue Leute kennen und fragt sie auch, wie sie auf sie wirkt. Schließlich will sie sich "normal" verhalten. Zum Beispiel bei Gesprächen. Franziska kann keinen Augenkontakt halten. Durch gutes Hinhören versucht sie aber, in die Richtung des Gesprächspartners zu blicken.
Vertrauen in sich und andere ist für Franziska wichtig
Nicht immer ist jemand bei Franziska. Zum Beispiel morgens im Bad. "Manchmal hätte ich dann gerne einen Spiegel, der mir sagt: ‚Du schaust heute aber gut aus', oder: ‚Du solltest dich noch mal kämmen.' So muss ich darauf vertrauen, dass meine Haare gut liegen." Franziska geht positiv mit ihrer Blindheit um. "Ein großer Vorteil ist, dass ich Leute nicht nach ihrem Aussehen beurteilen kann." Ihr sei es egal, ob sich ein Mann wie eine Frau kleidet oder sich schminkt. Ob Männer Männer küssen oder Frauen Frauen. Hier wünscht sich Franziska, dass die Leute auch blind wären: "Dann würden sie mit viel offeneren Augen durchs Leben gehen." Sie würden merken, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt.
Neidisch auf Leute, die sehen können, ist sie nicht. "Höchstens auf solche, die beruflich weiter oder von zuhause ausgezogen sind", sagt Franziska. Zwar ist sie auf Hilfe angewiesen, aber damit hat sie gelernt, umzugehen. Zurück am Esstisch tastet Franziska gerade nach ihrem Glas. Auf die Frage, wo es denn sei, antwortet ihre Mutter: "Na, direkt vor dir." Die 22-Jährige nimmt es mit Humor: "Finde ich etwas nicht, ist es meist nur eine Frage von Zentimetern."
Segen und Fluch der Technik
Mit der Braillezeile kann Franziska ihren Laptop bedienen. Foto: Anna-Lena Weber
Blinde lesen mit einer eigenen Schrift: der Blindenschrift, auch Braille-Schrift genannt. Zum Ertasten braucht Franziska sensible Finger. Ein Buchstabe besteht aus sechs kleinen Punkten. Je nachdem, welche der Punkte hervorgehoben sind, ist es ein anderer Buchstabe. Damit Franziska Texte am Computer lesen kann, hat sie eine Braillezeile am Laptop angeschlossen. Die Zeile, an der sie den Cursor platziert, wird ihr dort angezeigt. Den Laptop bedient sie ansonsten mit einer Sprachausgabe. Diese nennt ihr die Position ihrer Maus. Fährt sie über ein Symbol, liest die Sprachausgabe es vor.
So ähnlich bedient sie auch ihr Smartphone. Der Bildschirm ist meist schwarz. Durch ein Wischen nach links oder rechts wählt sie eine App aus. Geführt wird sie durch eine Navi-Stimme, metallisch und abgehakt.
Nachrichten liest ihr die Sprachausgabe vor. Wenn sie selbst welche schreibt, macht sie das auf der normalen Tastatur. Sie kennt die Position der Buchstaben zueinander. Die Sprachausgabe diktiert die getippten Buchstaben. Was Franziska bedauert: Die meisten Spiele sind sehr visuell. Und damit nicht für sie geeignet.
Die moderne Technik erleichtert Franziska den Alltag. Sie steht ihr aber genauso sehr im Weg. Ein Beispiel: beim Restaurantbesuch mit Karte zahlen. Franziska hat keine Chance, ihren Pin auf einem Touchscreen einzugeben, da sie die Position der Ziffern nicht sieht. Bei Geld- und Fahrkartenautomaten steht sie oft vor ähnlichen Problemen.