Chemtrails, Reptiloide und Co.

Warum Verschwörungstheorien faszinieren


Vor Kondensstreifen wie diesen hatte Anna (Name von der Redaktion geändert) lange Zeit Angst.

Vor Kondensstreifen wie diesen hatte Anna (Name von der Redaktion geändert) lange Zeit Angst.

Von Simone Ketterl

Verschwörungstheorien sind beliebt. Eine Aussteigerin, eine Aktivistin und ein Philosoph erklären, warum sie so attraktiv sind und wie wir uns dagegen schützen können.

Ein Zimmer in dezenten Grautönen. Auf einem Schreibtisch liegen ein Laptop, zwei Bleistifte und ein DIN-A4-Block. Dahinter ein Fenster, das den Blick auf die Silhouette einer oberpfälzischen Kleinstadt freigibt. Über ihr strahlend blauer Himmel.

In diesen Himmel zu schauen, hat Anna große Sorgen bereitet. "Ich hab' mir immer gedacht, hoffentlich sprühen sie nicht wieder", flüstert die 23-Jährige. Fünf Jahre hat die junge Frau an Chemtrails geglaubt. Sie war davon überzeugt, dass Flugzeuge nicht einfach nur Kondensstreifen hinter sich herziehen, sondern dass die Pharmaindustrie Gifte ausbringt, um uns krank zu machen. "Ich hatte mit 17 Jahren eine Phase, in der es mir nicht so gut ging", erinnert sich Anna, die in Wirklichkeit anders heißt. Kopfschmerzen, Müdigkeit, die Trennung ihrer Eltern. All das habe sie belastet. Eigentlich wollte sie nur nach Ursachen für ihre Beschwerden googeln. Über Umwege stieß sie dabei auf eine Webseite über Chemtrails.

In der Blase: aus Interesse tritt Anna einer Facebook-Gruppe bei

Anna klappt den Laptop auf und öffnet eine improvisiert wirkende Seite. Auf dieser wird empfohlen, bei einem "Chemtrail-Fallout" Aufenthalte im Freien zu vermeiden, heiß zu duschen und sich im Anschluss mit Olivenöl einzureiben. Das erschien Anna nicht sonderlich schlüssig, neugierig wurde sie trotzdem.

Am selben Tag sah sie sich in entsprechenden Facebook-Gruppen um und trat aus Interesse bei. Es dauerte nicht lange, bis der Admin einen Chat mir ihr begann. Bald schrieben sie sich häufiger. Er führte sie weiter in die Chemtrail-Theorie ein. Das habe zwar ihre Ängste geschürt, ihr allerdings auch ein Gegenüber gegeben. Jemanden, der ihr zuhört. Vor Familie und Freunden verheimlichte sie ihre Ansichten. Die würden sie ohnehin nicht verstehen, hat ihr der Admin versichert.

Ende 2018 der Zusammenbruch. Trotz massiver Gegenwehr setzte ihre Mutter durch, dass Anna zu einer Psychologin ging. Deren Diagnose lautete: Angststörung und Depressionen. Die Sache mit den Chemtrails erwähnte sie selbst ihrer Therapeutin gegenüber erst nach Monaten. Seitdem begleitet sie die Fachfrau bei einem wechselhaften Ausstiegsprozess. "Manchmal zweifle ich an meinem Zweifel", sagt Anna. "Vielleicht sprühen die ja doch."

Kampf gegen Aluhüte: am Anfang war es Spaß, jetzt ein Projekt

Giulia Silberberger war genervt - von einer Verschwörungstheorie-Gruppe, die ihren Newsfeed in Beschlag nahm. Um die Plage loszuwerden, wurde sie Mitglied, wollte dann schnell wieder austreten und die Beiträge blockieren. Zumindest hatte sie das vor. "Ich bin irgendwie hängengeblieben, hab' Leute gefunden und mich mit ihnen ausgetauscht", erzählt sie. Zunächst hat sie in den Kommentarspalten Witze gerissen und die Verschwörungstheorie-Gläubigen darauf aufmerksam gemacht, wie absurd ihre Gedankenspiele sind.

Aus dem anfänglichen Spaß wurde 2014 ein ernsthaftes Projekt. In diesem Jahr gründete Giulia Silberberger die gemeinnützige Organisation "Der goldene Aluhut" (dergoldenealuhut.de). Mit ihm engagiert sie sich seitdem gegen Verschwörungstheorien - ideologischen Missbrauch, wie sie es nennt. Sie und ihr Team gehen zum Beispiel an Schulen und helfen Jugendlichen in Sachen Medienkompetenz auf die Sprünge. Zu einem Verschwörungsideologen durchzudringen, sei nahezu unmöglich, vorzubeugen daher entscheidend.

Nazis in Neuschwabenland: "wirklich geiler Scheiß"

Das ist der eine Teil von Giulia Silberbergers Arbeit, der andere ist, einschlägige Verschwörungstheorieforen und -gruppen zu beobachten. Dafür bewegt sie sich mit Fake-Profilen in unterschiedlichen sozialen Netzwerken. Es sei erschütternd, zu sehen, wie manch einer durch einen Schicksalsschlag, wie einen Krankheitsfall in der Familie, über alternative Heilmethoden und die Ablehnung der konventionellen Pharmaindustrie bei der jüdischen Weltverschwörung landen würde.

Jede dieser Theorien sei potenziell gefährlich, trotzdem hätten einige einen hohen Unterhaltungswert. Giulia Silberbergers persönlicher Favorit: Nazis in Neuschwabenland. Anhänger dieser Idee glauben daran, dass die Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg nach Neuschwabenland in der Arktis geflüchtet und ins Innere der Welt eingetreten sind. Dort bestehe das Deutsche Reich fort. "Das ist wirklich geiler Scheiß und wäre eine tolle Vorlage für Science-Fiction-Filme", meint sie und lacht.

Mit Humor gegen Fake News: wie der Philosoph vorgeht

Mit verqueren Weltanschauungen beschäftigt sich auch Philipp Hübl. Der Philosophieprofessor analysiert in seinem Buch "Bullshit-Resistenz", warum wir so anfällig für Fake News beziehungsweise Verschwörungstheorien sind, und entwickelt Strategien, wie wir uns dagegen schützen können. Kurzfristige Lösungen sind seines Erachtens Konzentration, gesunder Menschenverstand und Humor.

Wer zum Beispiel eine Falschnachricht satirisch überspitzt, kann die Aufmerksamkeitslogik gegen die Lügner ausspielen. Für langfristige Erfolge rät Philipp Hübl dazu, sich nicht auf das Bauchgefühl zu verlassen. Stattdessen müsse man von einem intuitiven zu einem analytischen Denkstil wechseln. Das bedeutet, nicht zu vereinfachen, sondern zu ertragen, dass die Welt komplex ist. Genau das versucht Anna gerade. Noch fällt es ihr schwer.

Unsere Top Five der verrücktesten Verschwörungstheorien

1. Reptiloide: Eine außerirdische Reptilienrasse herrscht über die Menschheit. Diese sogenannten Reptiloide sind Formwandler, das heißt, sie können die Gestalt und das Verhalten von Menschen annehmen. Manchmal sieht man in Videoaufnahmen Menschen mit schlitzähnlichen Pupillen oder scharfen Zähnen. Für die Anhänger dieser Theorie ist das Beweis genug. Außerdem sind sie davon überzeugt, dass Kriege und Folter auf Veranlassung der außerirdischen Unterdrücker geschehen.

2. Flache Erde: Entgegen gängiger wissenschaftlicher Erkenntnisse sind sich "Flacherdler" sicher, dass die Erde keine Kugel, sondern eine Scheibe ist. Ihrer Meinung nach leben wir unter einer Kuppel und können den Planeten nicht verlassen. Die Mondlandung ist dementsprechend nur eine Inszenierung, um die Wahrheit zu verschleiern und die Illusion aufrecht zu erhalten, dass wir im Weltraum möglicherweise nicht alleine sind. Um diese Annahmen zu belegen, werden oftmals Bibelverse angeführt.

3. HAARP (High Frequency Active Auroral Research Program): Mit einer riesigen Antennenanlage in Alaska versucht die US-Regierung, die Gedanken der Menschen zu beeinflussen - "mind control" zu betreiben. Die von HAARP ausgesendeten elektromagnetischen Wellen verändern, so die Überzeugung der Verschwörungsideologen, die Gehirnströme. Die 180 gigantischen Masten in der Nähe des Mount Sanford gibt es wirklich. Sie dienten allerdings der Untersuchung der oberen Atmosphäre.

4. Hooton-Plan: Die USA planen die Auslöschung Deutschlands, indem sie Flüchtlingsströme in die Bundesrepublik leiten. Diese sollen durch höhere Geburtenraten die ursprüngliche Bevölkerung verdrängen und dadurch für die USA leichter kontrollierbar machen, meinen Hooton-Plan-Gläubige. Den Hooton-Plan gab es tatsächlich. In einem Artikel schlug Earnest Hooton 1943 vor, mit der Ansiedlung fremder Völker gegen den Nationalismus in Deutschland vorzugehen. Umgesetzt wurde das allerdings nie.

5. Pizza-Gate: Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 wurde das Gerücht gestreut, Hillary Clinton betreibe in einer Washingtoner Pizzeria einen Kinderpornoring. Daraufhin drang ein bewaffneter Mann in das verdächtigte Restaurant ein, um die dort angeblich festgehaltenen und missbrauchten Kinder zu befreien. Verletzt wurde bei dem Überfall niemand. Der Angreifer wurde zu vier Jahren Gefängnis und Schadenersatz verurteilt.