Kultur
Ausgeträumt?
24. Januar 2023, 16:53 Uhr aktualisiert am 24. Januar 2023, 16:53 Uhr
Die peinliche Geschichte der Sanierung von Europas größtem Kulturzentrum ist um eine Panne reicher. Die Stadt hat keinen Investor gefunden, der den Gasteig für die festgeschriebene Summe von 450 Millionen Euro sanieren möchte. Die einzige eingegangene Bewerbung erfüllte keine der Mindestanforderungen in den zentralen Bereichen Planung, Bau und finanzieller Leistungsfähigkeit. Sie musste daher zwingend vom Verfahren ausgeschlossen werden.
Das ist einer Stadtratsvorlage zu entnehmen, die am 1. Februar in nichtöffentlicher Sitzung beraten wird. Die Stadt steht vor einem Scherbenhaufen: Die in endlosen Sitzungen mit den Nutzern entwickelte Neukonzeption des städtischen Kulturzentrums ist reif für den Mülleimer. In die Tonne treten kann man auch das aus einem mühseligen Architektenwettbewerb hervorgegangene Projekt des Architekturbüros Henn. Es sollte mit Hilfe einer gläsernen Kulturbühne die Verbindung zwischen der Philharmonie und dem Bibliothekstrakt verstärken und durch Transparenz den Schwerpunkt auf kulturelle Bildung nach außen demonstrieren.
Ganz sicher war das Projekt ohnehin nie. Jeder einzelne Schritt erforderte einen eigenen Beschluss des Stadtrats. Die Generalsanierung wurde mit Vorbehalten quer durch die Rathauskoalition 2018 von der CSU und den Grünen beschlossen - eine etwas wacklige Konstellation. Der soziale Flügel der SPD hält das Projekt bis heute für Geldverschwendung und favorisiert kleinere Lösungen mit einer Verbesserung der Philharmonie, aber ohne Neukonzeption des kompletten Gebäudes.
Vor dem Hintergrund steigender Kosten brachten der Stadtkämmerer Christoph Frey und die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden 2020 die Idee auf, die Sanierung einem Investor zu übergeben. Die Planung wanderte von der städtischen Gasteig GmbH zum trägen Baureferat, dem Insider ein Desinteresse am Gasteig konstatieren. Von Beginn an hatte die Investorensuche den Beigeschmack eines taktischen Schachzugs, mit dem man sich eines ungeliebten Problems zu entledigen trachtete.
Nun will die Stadt wieder einmal "mögliche Optionen" prüfen - bis zum Herbst, als würden die Kosten für Baumaßnahmen bis dahin nicht weiter steigen. Die Vorlage nennt dafür zwei Optionen: Man könnte, in der Hoffnung auf eine Entspannung auf dem Baumarkt, das Verfahren in ein paar Jahren wiederholen - ein sehr frommer Optimismus.
Denkbar wäre auch eine Sanierung durch die Stadt selbst. Nicht in der Vorlage genannt wird die Erarbeitung eines Gesamtkonzepts für die Münchner Kulturzentren und Konzertsäle. Es könnte auf eine Zusammenarbeit mit dem Freistaat hinauslaufen, der dafür auf das - intern wohl längst aufgegebene - Konzerthaus im Werksviertel hinter dem Ostbahnhof verzichten würde.
Die komplexe Gasteig-Sanierung war schon immer schwer vermittelbar. Wieso soll sie knapp eine halbe Milliarde Euro kosten, auf die man wegen gestiegener Kosten realistischerweise noch 20 Prozent draufschlagen kann? Und warum kann man für 70 Millionen ein passables Interim in Sendling bauen? Diese Frage hat bereits beim fast genauso teuren Projekt des Konzerthauses den Ministerpräsidenten dazu bewogen, eine Denkpause zu verordnen.
Zuletzt schien es zweifelhaft, ob für eine halbe Milliarde plus Teuerungszuschlag überhaupt eine Neukonzeption herausspringt. Eine Grundsanierung, bei der ohne wesentliche Veränderung nur die marode Haustechnik repariert wird, wäre nach Auskunft Beteiligter nur scheinbar billiger: Dafür gibt es keine Planung. Sie müsste komplett neu begonnen werden.
Zu den Konsequenzen aus der gescheiterten Investorensuche wollte sich gestern seitens der Stadt mit Rücksicht auf das laufende nichtöffentliche Verfahren niemand äußern. Anfangs habe man trotz der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bauwirtschaft positive Signale von Investoren vernommen. Dann hätten die wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine die Situation grundlegend geändert.
Der stets optimistische Gasteig-Chef Max Wagner äußerte maximales Vertrauen in das lösungsorientierte Denken des städtischen Baureferats. Da ist allerdings Skepsis angebracht. Im schlechtesten, aber angesichts der Stadtfinanzen wahrscheinlichsten Fall passiert in den nächsten Jahren gar nichts. Denn, so dürften einige Stadträte denken, ohne Gasteig läuft's doch auch prächtig: Die Bibliothek hat wunderschöne neue Räume im Motorama, die Philharmoniker fühlen sich in der hochgelobten und für wenig Geld gebauten Isarphilharmonie pudelwohl. Die Volkshochschule ist in Behelfsbauten bestens untergebracht und Büros braucht man in Zeiten von Homeoffice ohnehin nicht mehr.
Der Gasteig war zuletzt städtisches Impfzentrum. Im Wartebereich vor der stillgelegten Philharmonie konnte man Eimer bewundern, in die es von der Decke tropfte. Bald wird der Bau laut städtischer Eigenwerbung ein Kreativspielplatz und das "größte Subkulturzentrum Europas".
Erfolgreiche Zwischennutzungen sind hartnäckig. Der Trend geht gegen teure Großbauten, und unseren Stadträten lagen Stadtteilkulturzentren stets näher am Herzen als der Klotz am Isarhochufer.
Sie finden das zu pessimistisch? Dann schauen Sie mal vom Gasteig in Richtung Stadt zum Kongresssaal des Deutschen Museums. Der zwischendurch als Kino genutzte Bau steht seit der Eröffnung der Philharmonie vor fast 40 Jahren leer. Dem von einer teuren Sanierung gebeutelte Deutschen Museum werden noch in Jahrzehnten die Mittel für eine angemessene Nutzung fehlen.
Stört dieser Schandfleck im Ernst jemanden? Nein. Ein ähnliches Schicksal droht dem Gasteig. Man wird sich an den Leerstand gewöhnen. Und viele Leute wird das kaum aufregen.