Kultur
Das Hohelied des Blödsinns
8. Februar 2023, 16:00 Uhr aktualisiert am 8. Februar 2023, 17:19 Uhr
Was haben Karl Valentin (1882-1948) und Kurt Schwitters (1887-1948) gemeinsam? Beide waren notorische Kreuz- und Querdenker (weit bevor der Begriff neu besetzt wurde) mit doppelbödigem Sprachwitz und sind vor 75 Jahren gestorben. Doch der Münchner Komiker und Volkssänger und der in Hannover geborene Künstler und Dichter sind sich nie persönlich begegnet.
Zehn Studenten der Hochschule für Design in Augsburg nehmen jetzt dennoch die Todestage (9.2. und 8.1.) zum Anlass für eine Publikation und Ausstellung im Valentin-Karlstadt-Musäum. Unter dem Titel "Krautwurst und Weißwickel" entwickelten sie mit ihrem Professor Michael Wörgötter eine Doppel-Hommage als "Bavarian-Dada"-Collage, die Leben und Werk der beiden inhaltlich und (typo-)graphisch höchst gelungen umreißt.
Valentin Ludwig Fey kam als Sohn eines Fuhrunternehmers in der Au auf die Welt, wuchs direkt an der Isar, das heißt, an der Zeppelinstraße auf, entwickelte schon als Kind Quälgeist-Qualitäten und fand die Volksschule an der Klenzestraße links der Isar furchtbar. Nach dem Tod des Vaters 1902 ging der gelernte Schreiner mit der Spedition bald bankrott - und nahm die Ausfahrt zur (Brettl-)Bühne. 1911 heiratete er Gisela Royes, das Dienstmädchen der Familie, bekam mit ihr zwei Töchter. Im Theater kämpfte der Ritter von der komischen Gestalt erfolgreich gegen die Windmühlen, arbeitete ab 1922 zusammen mit Brecht und begeisterte Tucholsky.
Kurt Schwitters heiratete nach einem Kunstgewerbe-Studium ebenfalls früh, und stand bald im kreativen (und kontroversen) Austausch mit Surrealisten, Konstruktivisten und Dadaisten. Er gründete die Bewegung Dada Hannover und begann 1923, in seinem Elternhaus den legendären MERZbau zu errichten: Eine wuchernde Material-Assemblage, die von innen heraus Besitz von den Räumen ergriff. Mit seinen Freunden Hans Arp und Raoul Hausmann pflegte er die hohe Kunst der Lautmalerei und Wort-Collage ("An Anna Blume").
Karl Valentin wiederum war ein formidabler Wort-im-Mund-Umdreher und absichtlich falsch Versteher, und es ist der alltägliche Wahnsinn, über den man mit ihm verzweifelt lacht: Beim Buchbinder Wanninger, der kostbare Lebenszeit in der Endlosschleife am Telefon verplempert. Oder beim Mann in der Apotheke, der vergessen hat, was er braucht, und von Liesl Karlstadt "Isopropyl-Propenyl-Barbitursaures-Phenyl-Dimethyl-Dimethylamino-Pyrazolon" bekommt: "So einfach, und man kann sich's doch nicht merken".
Seine Wortspiele kennzeichnen ihn als Pedanten: Der messerscharfen Logik im schönen Plural "Semmelnknödeln" kann man nichts entgegensetzen. Oder wenn der ewige Nörgler in "Der Hasenbraten" der bemitleidenswerten Gattin "Auf brauchst gar nicht zu laufen. Nur davon" erwidert. Wobei das weit weniger lustig wäre ohne Karlstadts kongenialen Gegenpart. Ihre warme, angesichts seiner Sottisen oft seufzend ironische Stimme ist quasi die Personifikation des gesunden Menschenverstandes.
Dabei hat Valentin, mit dem sie auch eine Liebschaft verband, die Schwabinger Bäckerstochter, die eigentlich Elisabeth Wellano hieß, nicht gut behandelt. Beim Bankrott seines "Panoptikum" 1934 nach nur zwei Monaten gingen auch ihre Ersparnisse flöten. Auf Bühne und Bett ersetzte er sie trotzdem durch die jüngere Annemarie Fischer. Karlstadt versuchte, sich in der Isar zu ertränken.
Valentin war als Kleinkunst-Unternehmer nicht begnadet und konnte stur sein bis zur Unvernunft. Die Nazis veralberte er, ohne sich allzu kritisch zu exponieren. Bei allem Spott über die seltsame Spezies Mensch war er kein großer politischer Geist. Und wenn er sich über jemanden ärgerte (wie über den Dichter Eugen Roth), schreckte er gar vor Denunziation nicht zurück.
Schwitters, seit 1932 SPD-Mitglied, emigrierte, nachdem die Nazis ihn als "entartet" abgestempelt hatten, 1937 nach Norwegen (mit seinem Sohn, seine Frau blieb hier) und nach der NS-Okkupation 1940 weiter nach England. Die jahrelange Flucht und Internierung hinterließ Spuren in Körper und Seele: Er erlitt bereits 1944 einen Zusammenbruch und starb am 8. Januar 1948 im Lake District an Lungenödem und Herzmuskelentzündung.
Karl Valentin zog, als die Wohnung am Mariannenplatz im Lehel 1941 ausgebombt wurde, mit der Familie nach Planegg. Am 9. Februar 1948, einem Rosenmontag, starb dort der in Vergessenheit geratene, unterernährte Komiker an einer Lungenentzündung, nachdem er aus Versehen nach der Vorstellung in der unbeheizten Garderobe des Haidhauser Kleinkunsttheaters "Bunter Würfel" eingesperrt worden war. Sein einsamer Tod war so absurd und trostlos wie der Urgrund seines Humors.
Valentin-Karlstadt-Musäum im Isartor, bis 2. Mai, täglich außer Mi, von 11 - 18, So,, 10 - 18 Uhr
Publikation: "Krautwurst und Weißwickel" (Allitera Verlag, 240 S. 20 Euro)
Das Filmmuseum, Jakobsplatz zeigt heute, 19 Uhr, zwei Filme: den Kurzfilm "Der Firmling" (1934, von und mit Karl Valentin) sowie "Kirschen in Nachbars Garten"(1935) von Erich Engels mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt, 4 Euro, Abendkasse