Philharmonie

Konzert im Gasteig: Evgeny Kissin spielt Beethoven


Evgeny Kissin ist im Konzert jederzeit bereit, die musikalische Wohlfühlzone zu verlassen.

Evgeny Kissin ist im Konzert jederzeit bereit, die musikalische Wohlfühlzone zu verlassen.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Evgeny Kissin mit Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven in der Philharmonie.

Wer Evgeny Kissin heute hört und sieht, wie er Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven spielt, denkt sich wohl spontan: Hier hat aber jemand Spaß an der Musik. Bei virtuosen Passagen, etwa in der Sonate Nr. 21 "Waldstein", gerät eine hochgezüchtete Technik in Gang, die der Musik nicht zuletzt rein pianistische Brillanz verleiht.

Diese Fingerfertigkeit hatte Kissin immer. Eher neu ist aber eine unbändige Lust am Geräusch: In den "Eroica"-Variationen Es-Dur imitiert er etwa Orchestereffekte, bis hin zu einer herzhaft rummsenden Großen Trommel in der siebten Variation. Die Dissonanzen der Schlussfuge spitzt er unerbittlich zu.

Und wer hätte gedacht, dass man Kissin einmal beim "Headbanging" beobachten könnte? Im Rondo-Finale der Sonate Nr. 8 c-moll, der "Pathétique", wippt er den Rhythmus tatsächlich mit dem Kopf mit - wohlgemerkt derselbe Pianist, der als junger Mann so statuenhaft unbeweglich wirkte. Irgendwann in den letzten Jahren hat sich Kissin offenkundig von den Fesseln jener übermäßigen Disziplin befreit, die er noch lange nach seiner Anfangsphase als Wunderkind ausstrahlte.

Grenzen der Kultiviertheit

Diese Befreiung wirkt sich auch auf die Tongestaltung aus. War sein Ton früher von marmorner, bisweilen kalter Schönheit, schlägt der 48-jährige heute manchmal so ungezügelt hart in die Tasten des Steinways, dass er die Grenzen klassischer Kultiviertheit zu überschreiten droht.

Dem stehen Passagen gegenüber, in denen Kissin in der Philharmonie moderne Klangwirkungen hervorruft wie etwa im Kopfsatz der Sonate Nr. 17 "Der Sturm". Hier lässt er die einzelnen Töne des instrumentalen Rezitativs, das so frappierend auf die Neunte vorausweist, im Pedal verschwimmen, als ob es sich um ein zeitgenössisches Stück handelte - und übertrifft somit noch die Kühnheit ähnlicher Experimente eines älteren Kollegen wie Daniel Barenboim.

Wahrscheinlich musste Kissin die Strenge, die sein Spiel früher durchzogen hat, erst überwinden, um die Klavierwerke Beethovens so aufregend spontan spielen zu können, wie er es heute tut. Oder war es umgekehrt die Beschäftigung mit diesem Komponisten, die ihn befreite? Wie dem auch sei: In gleich vier Zugaben, darunter zwei Bagatellen aus der Sammlung op. 33 und die gesamten Variationen op. 76, feiert er diese Freiheit auf ansteckende Weise. Die tiefgreifende Verwandlung dieses Pianisten gehört zu den bemerkenswertesten Ereignissen der Interpretationsgeschichte.

Eine Doppel-CD mit 5 Sonaten erschien 2017 bei DG. Am 22. März gibt Evgeny Kissin um 19.30 Uhr mit René Fleming einen Liederabend mit Werken von Schubert, Liszt, Debussy und Duparc im Herkulessaal, Karten unter 089 38 38 46 20 und an den bekannten Vorverkaufsstellen