Die Havel entlang
Fontane, Liebermann, Loriot und viel Natur
22. Juli 2019, 11:43 Uhr
Hübsche, kleine Wolken verzieren den Dom, der hoch über Havelberg für die adäquate Begrüßung sorgt. Nur noch einige Minuten und die "Felicitas", das schwimmende Hotel für eine Woche, legt gegenüber der Stadtinsel an. Das Ziel ist erreicht.
Dauert es mit dem Zug und Bus gerade einmal eine gute Stunde von Berlin nach Havelberg, so haben die Passagiere auf der kombinierten Schiffs- und Radreise viel mehr Zeit mitgebracht. Dadurch sammeln sie auf ihrer Tour entlang der Havel aber auch umso mehr Eindrücke. Wer sich auf der Reise nicht den einen oder anderen Seetag gönnt, ist nur Schiffsgast zum Essen und Schlafen. Die Kalorien, die man dort ansammelt, werden mit dem Rad wieder heruntergestrampelt. Kombinierte Schiffs- und Radreisen sind ein Trend, der immer größer wird.
Zum Start der Reise legt die "Felicitas" mit Kapitänin Johanna van Sonsbeek in Berlin-Spandau ab. Auf dem 38 Meter langen Schiff geht es gemütlich und familiär zu. Zehn Kabinen stehen für die Urlauber bereit. Die Tour von Berlin nach Potsdam führt durch herrliche Natur und man kommt mit dem Fahrrad am ein oder anderen Villengrundstück vorbei, das von altem oder auch neuem Reichtum zeugt.
Die Tour ist eine Reise in die Geschichte
Gleichzeitig bedeutet die Tour eine Reise in die Geschichte. Zu den besonderen Erlebnissen gehört dabei die Schifffahrt über den Wannsee, der wohl mehr als alles andere für das Berliner Freizeitvergnügen vor dem Zweiten Weltkrieg steht. Die Liebermann-Villa lädt ein, mehr über den Maler zu erfahren, der einer der bedeutendsten deutschen Impressionisten war. Erbittert über das neue Regime und von den Nazis verfemt starb er 1935.
Eines der barbarischsten Kapitel der Naziherrschaft wurde, eine Ironie der Geschichte, nur wenige hundert Meter von Liebermanns Villa, in der großen, so genannten Wannseekonferenz umgesetzt. 15 hochrangige Vertreter der Reichsregierung und der SS unter Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich beschlossen hier im Januar 1942 die praktischen Umsetzung zur "Endlösung der Judenfrage". Eine bedrückende Ausstellung in der architektonisch so reizvollen Villa erinnert an die unfassbaren Gräueltaten, die am Wannsee ihren Lauf nahmen.
Ein weiterer Geschichtsexkurs, erwartet die Radler an der Glienicker Brücke. Sie spielte in der Politik zu Zeiten der deutsch-deutschen Teilung eine wichtige Rolle: als Ort des Agentenaustauschs und des Freikaufs politischer Häftlinge.
Angekommen in Potsdam, vermitteln schon die ersten Kilometer der Innenstadt einen Eindruck von Pracht und Reichtum, welcher Potsdam über lange Jahre prägte. Zusammen mit Potsdam-Kenner Max Finger geht es für die Radgruppe auf der Tour "Alter Fritz" durch die Residenzstadt. Doch nicht nur der "Alte Fritz" hat in Potsdam allgegenwärtig seine Spuren hinterlassen. So werden die Schlösser Sanssouci, Cecilienhof und Babelsberg ebenso angefahren, wie das Holländische Viertel und die Siedlung Alexandrowka.
Gut ein Dutzend "Waldmöpse" in der Stadt
Nach dem Besuch in Potsdam geht es per Rad entlang der Havel in Richtung Westen. Natürlich bleibt dabei ein Stopp in Brandenburg, der "Hauptstadt" des gleichnamigen Bundeslands nicht aus. Besonders den Dom lässt sich kaum ein Besucher entgehen und auch das Stadtmuseum im Frey-Haus ist eine Stippvisite wert. Lustiges Detail in der rund tausendjährigen Stadt sind gut ein Dutzend "Waldmöpse", die darauf warten, entdeckt zu werden. Ein bisschen an die bayerischen Wolpertinger erinnernd, sind die Skulpturen auf dem besten Weg, ein Brandenburger Klassiker zu werden. Kein Wunder, steckt hinter ihnen doch einer der bekanntesten Söhne der Stadt an der Havel. Vicco von Bülow, Loriot, wurde hier 1923 geboren. Technikinteressierte begeistern sich für das Industriemuseum, in dem der letzte Siemens-Martin-Ofen Westeuropas ausgestellt ist. Als die Stadt am späten Nachmittag in einem Schleier aus Regen und Nebel verschwindet, endet der Tag gemütlich, bei guter Stimmung im Salon der "Felicitas".
Theodor Fontane im Park getroffen
Die gute Stimmung begleitet die Passagiere der "Felicitas" auch im Sonnenschein des nächsten Morgens, als es auf dem Weg in Richtung Rathenow, der Wiege der optischen Industrie, geht.
In Kirchmöser, einer Kleinstadt am Rande des Weges, trifft man, wie sollte es anders sein, in einem Park auf Theodor Fontane. Kein Wunder, war der doch oft in der Region unterwegs. Seine "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" sind ein Klassiker. Kirchmöser war über Jahrzehnte ein bedeutender Standort der Eisenbahnindustrie. Einige Erinnerungsstücke machen das deutlich. Die meisten Arbeitsplätze sind dagegen schon lange verschwunden. Der Havelradweg führt auf diesem Abschnitt durch den Naturpark Westhavelland. Eine weite Seenlandschaft begleitet das Schiff wie auch die Radler. Auch in Rathenow kann das, was die optische Industrie betrifft, fast nur noch von der Geschichte zehren. Hübsch ist das Städtchen trotzdem und besonders die Parkanlagen, die von der letzten Gartenschau übriggeblieben sind, laden zum Bummeln ein.
Nach einer weiteren Nacht auf dem schwimmenden Hotel lockt das nächste Ziel. An Land führt der Weg die Radler wieder durch weite Wiesen und Felder. Die großen Überflutungsgebiete durch die sie fahren, sind Lebensraum für viele, teils seltene Vogelarten. Mit etwas Glück zieht ein mächtiger Seeadler hoch oben am Himmel seine Kreise.
Zum Abschluss geht es zu den Störchen
Nicht nur für die auf dem Schiff verbliebenen Passagiere, sondern auch für die Radler ist der romanisch-gotische Dom das Erste, was vom Zielort Havelberg ins Blickfeld kommt.
In Havelberg lohnt es sich, durch die engen Straßen und Gassen der Altstadt zu schlendern oder die Spülinsel zu entdecken, die mitten in der Havel ihren Platz gefunden hat. Doch auch wenn das Schiff den Endpunkt erreicht hat, wartet am nächsten Tag noch ein Ausflug in Richtung Nordwesten. Dort wo die Havel in die Elbe mündet, findet der Havelradweg sein natürliches Ende und wird zum Elberadweg. Unweit davon, im Storchendorf Rühstadt gehören Storchennester auf fast jedem Haus zum guten Ton. An den Hoftoren geben Tafeln, akribisch geführt, darüber Auskunft, wann die Glücksbringer angekommen sind, wann sie zurück in Richtung Süden aufbrechen und wie viele Junge zur Welt kamen. Wer mehr über den Vogel erfahren möchte, ist im örtlichen Nabu-Besucherzentrum an der richtigen Stelle.