Politischer Aschermittwoch
Aus "Respekt vor den Opfern": Parteien sagen Kundgebungen ab
10. Februar 2016, 9:01 Uhr aktualisiert am 10. Februar 2016, 9:01 Uhr
Bayern steht unter Schock. Das schwerste Zugunglück im Freistaat seit 40 Jahren hat mehrere Menschenleben gekostet. Zahlreiche Passagiere in den beiden Regionalzügen, die in der Nähe von Bad Aibling frontal ineinander gekracht sind, wurden zum Teil schwer verletzt. Der Freistaat trauert um die Opfer und die Politik reagiert.
Tief berührt zeigten sich am Dienstag Vertreter aller Parteien und sprachen den Betroffenen ihr Mitgefühl aus. Und es ging weiter: Aus Respekt vor den Opfern des schweren Zugunglücks sagte die CSU ihre Kundgebung zum Politischen Aschermittwoch ab. Im Laufe des Nachmittags kam dann von einer Partei nach der anderen ebenfalls die Absage.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte unserer Zeitung, die Entscheidung sei aus "Respekt vor den Opfern und einer moralischen Verantwortung heraus" gefallen. Die "Klarheit im Kurs" der Partei gelte auch, wenn es darum gehe, zusammenzustehen. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) werde den Aschermittwoch nutzen, um den Tag am Ort des Unglücks zu verbringen. "Das ist nach meiner Überzeugung der einzig richtige Schritt aus Respekt gegenüber den Opfern. Das Mitgefühl steht für uns im Vordergrund", sagte Scheuer.
Partei des "Wir-Gefühls"
"Die schrecklichen Bilder von den Ereignissen in Bad Aibling sind noch zu frisch und werden auch in den kommenden Tagen die Medien bestimmen", erklärte Scheuer. "Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht", ergänzte er. Die CSU sei aber die Partei des "Wir-Gefühls - in guten und in schlechten Zeiten. Daher haben wir auch die Kraft solche Entscheidungen aus christlicher Verantwortung heraus zu treffen." Er begrüßte die Entscheidung anderer Parteien, ihre Veranstaltungen ebenfalls abzusagen. Ein CSU-Sprecher ergänzte, diese Veranstaltung wäre wohl als "unpassend" wahrgenommen worden. In 64 Jahren sei das Politspektakel noch nie abgesagt worden, hieß es aus der Partei.
Aber nicht alle in der CSU hatten Verständnis für die Entscheidung. Aus Parteikreisen war auch zu hören, man verstehe die Absage nicht. Eine Gedenkminute und eine Aufarbeitung des Unglücks wären sicher richtig und nötig gewesen. Doch der Politische Aschermittwoch sei doch eine ernstzunehmende politische Veranstaltung. Diese nun nicht abzuhalten, sei ein falsches Signal. Zudem sei bekannt, dass Parteichef Horst Seehofer den Aschermittwoch nie gemocht habe. Die nun getroffene Entscheidung dürfte ihm kaum schwer gefallen sein.
Andere gaben zu bedenken, dass die Nähe des Unglücks schon einen Unterschied mache, daher habe man für die Entscheidung Verständnis. Aber eine Veranstaltung in gemäßigter Form und mit einem anderen Charakter wäre sicher denkbar gewesen. Dem hielten andere entgegen, dass alleine schon die Atmosphäre in der Halle für andere Formate kaum geeignet sei.
Der Kanzlerin bleiben damit neue Attacken aus dem Süden erspart. Denn darauf hätte sie sich beim Politischen Aschermittwoch einstellen müssen. Harte Angriffe gegen die CDU-Vorsitzende Angela Merkel wären Seehofer heute wohl in der Tat schwer über die Lippen gekommen, angesichts der Trauer nach dem schwersten Zugunglück in Bayern seit 40 Jahren. Aber die Packung gegen Merkels Flüchtlingspolitik wäre ansonsten wohl recht harsch ausgefallen. In einem am Montag veröffentlichten Interview sagte Seehofer: "Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung." Angesichts einer großen Zahl von Flüchtlingen und Migranten, die derzeit ohne gültige Einreisepapiere ungehindert ins Land kommen dürfen, ergänzte Seehofer: "Es ist eine Herrschaft des Unrechts." Derartige Formulieren verwendete die CSU bisher nur für Diktaturen wie die frühere DDR.
Auch die Drohung mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung wiederholte der CSU-Chef. Wenn die Flüchtlingszahlen nicht zurückgingen, könnte Bayern diese Klage noch vor den Landtagswahlen am 13. März in Karlsruhe einreichen. Vor wenigen Wochen hatte die Bayerische Staatsregierung an die Bundesregierung einen Brief geschrieben, sie zur Änderung ihrer Flüchtlingspolitik aufgefordert und andernfalls mit Verfassungsklage gedroht.
"Es geht einfach nicht"
Nach der Entscheidung der CSU, die Kundgebung in der Dreiländerhalle nicht abzuhalten, konnten auch die anderen Parteien kaum anders. Bei der SPD gab es zunächst noch Überlegungen, der Veranstaltung in Vilshofen einen anderen Charakter zu geben. "Angesichts dieses Unglücks wäre kein Raum für einen klassischen Politischen Aschermittwoch mit einem Schlagabtausch üblicher Natur gewesen", sagte Landeschef Florian Pronold unserer Zeitung. "Als dann die Absage der CSU kam, war klar, dass auch wir unsere Veranstaltung nicht durchführen."
Auch bei den Grünen in Landshut findet der Politische Aschermittwoch nicht statt. "Es geht einfach nicht", sagte Landeschefin Sigi Hagl unserer Zeitung. "Man kann nach einem solch dramatischen Zugunglück das Format Politischer Aschermittwoch nicht fahren", führte die Landshuterin die Ereignisse in Bad Aibling als Begründung an. "Die Entscheidung war bei uns völlig klar." Hagl wird unter anderem mit Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, die als Hauptrednerin vorgesehen war, zum Unglücksort reisen, um ihre Trauer und Anteilnahme zu bekunden.
Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger begründete die Absage des Politischen Aschermittwochs seiner Partei mit der "allgemeinen Stimmungslage" nach dem Zugunglück von Bad Aibling und der "Dramatik" der Ereignisse dort. "Ausschlaggebender Grund" sei aber gewesen, dass die CSU ihre Veranstaltung abgesagt habe, sagte Aiwanger unserer Zeitung. "Unter dieser Gesamtsituation" entstehe ein "moralischer Druck, der es nicht mehr erlaubt, politisch auf den Putz zu hauen." Generell müsse man wohl "über das Format des Aschermittwochs nachdenken". Denn dramatische Ereignisse passierten immer und überall auf der Welt. Eine gewisse "positive Stimmungslage" gehöre aber untrennbar zum Politischen Aschermittwoch. Dass die CSU auch andere Gründe für die Absage gehabt haben könnte, zum Beispiel die bekannte Abneigung von Parteichef Seehofer gegenüber dem Veranstaltungsformat, daran "habe ich nicht einmal im Traum zu denken gewagt", sagte Aiwanger.
Die Aschermittwochskundgebung der FDP fällt ebenso aus. Der Chef der Bayern-FDP, Albert Duin, sagte unserer Zeitung, er werde dennoch nach Dingolfing fahren. Wenn dort Interessierte warteten, die von der Absage noch nichts mitbekommen hätten, werde er sie zu einer Brotzeit einladen und gemeinsam mit ihnen um die Opfer des Zugunglücks trauern.