Neue Gesundheitsserie

Experten-Interview: Jeder Kopfschmerz ist anders


Volker Pfaffenrath ist Neurologe und Spezialist für Kopfschmerzen. In einer neuen Serie mit idowa erläutert er Krankheitsbilder und Therapien.

Volker Pfaffenrath ist Neurologe und Spezialist für Kopfschmerzen. In einer neuen Serie mit idowa erläutert er Krankheitsbilder und Therapien.

Von Manfred Fischer / Onlineredaktion

Kopfschmerzen sind ein globales Leiden. Das weiß niemand besser als Volker Pfaffenrath. Der Neurologe und Kopfschmerzexperte ist viel herumgekommen.

Pfaffenrath hat Migränepatienten im Oman Linderung verschafft und schmerzgeplagte Chinesinnen therapiert. Seit Juli arbeitet er im neurologisch-psychiatrischen Zentrum Dr. Vogl und Kollegen. Immer in der letzten Woche jedes Monats ist der Experte in der Praxis in Cham-Janahof präsent. 162 Arten von Kopfschmerzen gibt es - Pfaffenrath kennt sie nach 40 Jahren klinischer Tätigkeit alle.

Sie sind in der Pfalz geboren, leben in München, haben in der ganzen Welt Vorträge gehalten und in Kliniken gearbeitet - wie hat es Sie denn ausgerechnet nach Cham verschlagen?

Pfaffenrath: Ein Kollege, den ich aus meiner Zeit in Großhadern kenne, arbeitet in Cham. Er hat den Kontakt hergestellt. Ich habe mich hier auf Anhieb wohlgefühlt.

2010 haben Sie Ihre Praxis in München aufgegeben. Danach waren Sie im Nahen Osten als Arzt tätig. Der Sprung von Bahrain in den Bayerwald ist schon groß.

Pfaffenrath: Im Nahen Osten zu arbeiten ist körperlich wahnsinnig anstrengend. Es ist einfach enorm heiß. Zudem bin ich ständig zwischen Oman, Bahrain und München hin- und hergeflogen. Jetzt fahre ich Sonntagabend von München nach Cham und bleibe bis Freitag. Die Arbeit ist sehr spannend, das Einzugsgebiet riesig.

Kopfschmerzen sind ein Volksleiden. Das wird im Landkreis Cham nicht anders sein, oder?

Pfaffenrath: Zehn Prozent der Bundesbürger leiden an Migräne. 60 Prozent haben gelegentlich Spannungskopfschmerzen, drei Prozent chronische Kopfschmerzen und wiederum drei Prozent leiden unter Schmerzmittelkopfschmerz.

Was versteht man unter Schmerzmittelkopfschmerz?

Pfaffenrath: Diese Patienten nehmen täglich Schmerzmittel. Sie müssen erst einmal weg von den Medikamenten, um überhaupt richtig eingestellt werden zu können. Sonst blockiert der Schmerzmittelmissbrauch jede Therapie.

Ist jeder Kopfschmerz gleich?

Pfaffenrath: Nein. 162 verschiedene Arten sind bekannt. Es gibt beispielsweise Clusterkopfschmerzen, die kommen drei- bis viermal am Tag, sind einseitig spürbar und das Auge tränt. Oder auch die zyklische Migräne, die drei Monate dauert. Bei mir war vor kurzem ein Patient, der an schlafgebundenem Kopfschmerz litt. Er wachte jede Nacht auf und litt zwei Stunden lang unter Schmerzen. Ich habe ihm ein Medikament verschrieben und nach zehn Tagen war er wieder glücklich.

Wie lässt sich Migräne vom Spannungskopfschmerz unterscheiden?

Pfaffenrath: Bei der Migräne kommt der Schmerz attackenweise über vier bis 72 Stunden und wird begleitet von Übelkeit, Brechreiz und häufig noch Lärm- sowie Lichtüberempfindlichkeit. Der Schmerz ist einseitig und pulsierend wie der Herzschlag. Die Patienten suchen Ruhe. Der Spannungskopfschmerz hingegen tritt beidseitig auf, ist dumpf, drückend und ohne weitere Begleiterscheinungen. Es gibt aber freilich Mischformen.

Bei Ärzten sind Kopfschmerzpatienten nicht beliebt. Sie gelten als anspruchsvoll. Zurecht?

Pfaffenrath: Es braucht einfach viel Erfahrung, um die richtige Diagnose zu stellen und die individuelle Behandlung festzulegen. Dazu gehört das Gespräch über die Lebensführung oder auch das Schreiben eines Kopfschmerzkalenders. Das ist beratungs- und zeitintensiv. Aber Kopfschmerzen sind kein unabänderliches Schicksal, es lässt sich mit der richtigen Therapie viel erreichen.

Migräne und die Gene

Aber Migräne ist chronisch. Muss der Betroffene die Schmerzen akzeptieren?
Pfaffenrath: Nein, da lässt sich vieles machen. Hat der Patient ein bis drei Attacken im Monat mache ich lediglich eine Schmerzbehandlung. Es gibt sehr gut wirksame Medikamente, die aber selten verschrieben werden, weil sie teuer sind. Aber sie machen den Patienten innerhalb von zwei Stunden schmerzfrei. Hat der Betroffene mehr als drei Attacken im Monat, dann läuft es auch über die Prophylaxe. Betablocker helfen richtig eingesetzt, die Zahl der Anfälle zu reduzieren.

Viele Patienten suchen ihr Heil in alternativen Methoden. Was halten Sie von Homöopathie, Akupunktur oder Botox?

Pfaffenrath: Die sind nicht wirksamer als ein Placebo. Dafür gibt es ausreichend klinische Studien. Wer sinnvolle nichtmedizinische Hilfe sucht, sollte dreimal die Woche eine halbe Stunde Ausdauersportarten machen. Nicht Fitnessstudio, sondern Laufen oder Radfahren. Der Körper schüttet dabei Endorphine aus, ein Glückshormon. Es helfen zudem Entspannungsverfahren. Auch dadurch wird die Stressbereitschaft des Gehirns reduziert. Schließlich löst ein Stau bei der Reizverarbeitung erst die Migräne aus.

Ist Migräne erblich bedingt?

Pfaffenrath: Auf jeden Fall. Schon sieben Prozent der Kinder haben Migräne. Sogar Dreijährige sind betroffen. Bei ihnen wird aber die Migräne nur selten diagnostiziert.

Zeigt sich die Migräne bei den Kleinen anders?

Pfaffenrath: Kinder können die Schmerzen nicht lokalisieren. Migräne ist bei ihnen auch oft anders ausgeprägt, teils ohne die typische Übelkeit. Ein ganz klares Symptom ist aber das Verhalten der Kinder. Wenn sie ihr Spiel unterbrechen, sich freiwillig zurückziehen, Ruhe haben wollen, dann liegt eine Migräne vor.

Lässt sich die Krankheit bei Kindern therapieren?

Pfaffenrath: Die Behandlung von Kindermigräne ist eines der weißesten Felder in der Medizin. Dabei gibt es Hilfe. Die Kinder sprechen auf die Medikamente gut an. Dazu gehört freilich auch die Beratung der Eltern, denn die Kinder brauchen einen regelmäßigen Lebensrhythmus. Dagegen haben manche schon einen Terminkalender wie ein Manager. Doch gerade der Wechsel zwischen enormer Anspannung und Entspannungstagen löst die Migräne aus.

Gilt das auch für die erwachsenen Patienten?

Pfaffenrath: Ja, daher entwickeln sich Formen wie die Wochenend- oder Urlaubsmigräne. Die Attacken kommen nie auf dem Höhepunkt der Anspannung, sondern danach.

Ab wann sind Kopfschmerzen eigentlich gefährlich?

Pfaffenrath: Wenn sie akut und heftig auftreten. Oder auch, wenn sie von Tag zu Tag stärker werden. Dann können schwere Erkrankungen wie Tumore oder Gefäßverschlüsse dahinter stecken. Da eilt der Gang zum Arzt.

Vita des Experten

Dr. Volker Pfaffenrath (66): Nach dem Studium in Frankfurt und Düsseldorf folgte die Tätigkeit als Facharzt fur Neurologie im Klinikum Großhadern der Universität München. Nach einer weiteren Ausbildung in den USA rief er das erste universitäre Kopfschmerzzentrum in Deutschland ins Leben. Von 1986 bis 2010 führte Pfaffenrath als niedergelassener Neurologe eine Praxis in München. Vor fünf Jahren gab er seine Praxis auf und war in Kliniken in Oman sowie Bahrain tätig. Pfaffenrath hat sich ganz der Ursachenforschung und Therapie von Kopfschmerzen verschrieben. Mehr als 100 wissenschaftliche Veröffentlichungen stammen aus seiner Feder. Über viele Jahre war er Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Nun praktiziert er in der Gemeinschaftspraxis Dr. Vogl und Kollegen in Cham.