Korruptionsvorwürfe in Österreich
Razzia im Kanzleramt und in der ÖVP-Zentrale
6. Oktober 2021, 14:58 Uhr aktualisiert am 6. Oktober 2021, 14:58 Uhr
Ein beispielloser Vorgang: Ermittler durchsuchen die Machtzentralen der regierenden Konservativen in Wien. Der Verdacht geht in Richtung Bestechung. Damit scheint sich eine Regierungskrise anzubahnen.
In Österreich haben Ermittler das Kanzleramt und die Parteizentrale der konservativen ÖVP durchsucht. Das bestätigte eine Parteisprecherin. Im Visier der Justiz waren unter anderem die Arbeitsplätze des Sprechers und des Medienbeauftragten von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Der Vorgang soll laut Medienberichten im Zusammenhang mit Inseraten seitens der Regierung stehen, die für geschönte Umfragen geschaltet worden seien.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSTA) gab vorerst keine Auskunft, kündigte jedoch eine Pressemitteilung an. Die Zeitung "Der Standard" berichtete, dass es um die Vorwürfe der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit gehe. Mit einem österreichischen Medienhaus sei eine Inserate- und Medienkooperationsvereinbarung im Volumen von 1,3 Millionen Euro geschlossen worden. Dadurch sollen "Einflussnahmemöglichkeiten hinsichtlich der Inhalte und Zeitpunkte von Veröffentlichungen im redaktionellen Teil" in Anspruch genommen worden sein, zitiert das liberale Blatt aus einem Dokument der Justizbehörden.
Damit könnte sich nun eine Regierungskrise anbahnen. Das Bündnis aus ÖVP und Grünen wurde zuletzt immer wieder durch Vorwürfe der ÖVP an die Justiz belastet. Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler hielt am Mittwoch fest, dass "Angriffe auf die Justiz insgesamt zurückzuweisen" seien. Der Chefredakteur des Magazins "Falter", Florian Klenk, schrieb auf Twitter: "Nach erster schneller Lektüre dieses Hausdurchsuchungsbefehls und der darin enthaltenen Chats kann man getrost sagen: Das geht sich jetzt mit der Koalition zwischen ÖVP und den Grünen nicht mehr aus. Game over."
ÖVP spricht von falschen Anschuldigungen, Opposition sieht sich bestätigt
Die stellvertretende ÖVP-Generalsekretärin Gabriela Schwarz sprach in einer Mitteilung von falschen Anschuldigungen. "Das passiert immer mit demselben Ziel und System: Die Volkspartei und Sebastian Kurz massiv zu beschädigen", sagte sie. Es gehe den Ermittlern offenbar um einen "Showeffekt". ÖVP-Fraktionschef August Wöginger kündigte Widerstand an. "Wir werden hier mit aller Kraft dagegen halten, sowohl auf der politischen als auch auf der juristischen Ebene."
Die Opposition sieht die Ermittlungen als Bestätigung für den Korruptionsverdacht im Umfeld von Kanzler Sebastian Kurz. "Für Kurz und die türkise Familie wird es immer enger", kommentierte die SPÖ in Anspielung auf die Parteifarbe der ÖVP. "Das türkise Kartenhaus bricht krachend zusammen", so SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch.
Nach Ansicht der rechten FPÖ hat "sich die türkise ÖVP-Spitze in den letzten Jahren zunehmend in eine kriminelle Organisation verwandelt". Der ÖVP gehe es vor allem um die Macht, kritisierte der Generalsekretär der liberalen Neos, Douglas Hoyos. Er forderte die Kanzlerpartei auf, zur Aufklärung beizutragen statt den Ruf der Justiz zu beschädigen. Der ÖVP-Parlamentarier Andreas Hanger hatte am Dienstag noch von "linken Zellen" innerhalb der WKSTA gesprochen, die gezielt den Ruf von Kurz schädigen wollten.