Kommentar
Taiwan: Durchbruch mit Kalkül
4. November 2015, 21:20 Uhr aktualisiert am 4. November 2015, 21:20 Uhr
Das Gute ist: Die Taiwanesen können bei einer freien und fairen Wahl Anfang 2016 über die Zukunft ihres Landes bestimmen. Die Insel hat sich die Demokratie über Jahrzehnte hart erkämpft. Das Volk entscheidet dort, und nicht wie in China das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei. Daran darf sich auch mit dem Annäherungsprozess der beiden Nachbarn nichts ändern. Taiwan ist kein gewöhnliches Land. Dem mächtigen China gilt die Insel als abtrünnige Provinz, die heimgeholt werden muss - notfalls mit militärischen Mitteln.
Zweifelsohne ist da das geplante Treffen der höchsten Führer von beiden Seiten nach über 60 Jahren ein historischer Durchbruch. Doch hinter dem Zeitpunkt der Annäherung dürfte vor allem das Kalkül vonseiten Pekings stecken, auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahl in Taiwan einwirken zu wollen. Denn die auf der Insel regierende Kuomintang unter Präsident Ma Ying-jeou fährt seit Jahren einen Kurs der Aussöhnung mit dem Nachbarn. Die wirtschaftlichen Beziehungen wachsen stetig. Die Chinesen wollen diesen Prozess unbedingt aufrechterhalten, weil das große Ziel auch in Bezug auf Taiwan nach wie vor heißt: ein Land - zwei Systeme. Da passt es der Diktatur gar nicht in den Kram, dass nun in Taiwan die Fortschrittspartei - sie hat ihre Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung - in den Umfragen deutlich vorne liegt.
Millionen Taiwanesen fürchten zu Recht den Ausverkauf von Demokratie und Eigenständigkeit, wenn der große Nachbar China Zugriff auf die Insel bekommt. Ihre Freiheit haben die Menschen mithilfe der Schutzmacht USA über Jahrzehnte vehement verteidigt. Zu schade wäre es da, wenn sie über kurz oder lang in die Fänge der chinesischen Diktatur gerieten.