"Vertrag in trockenen Tüchern"

EU sichert sich Biontech-Impfstoff - Spahn zuversichtlich


Im Rennen um einen rettenden Impfstoff gegen das Coronavirus hat die EU-Kommission mit der Mainzer Firma Biontech die mögliche Lieferung von bis zu 300 Millionen Einheiten vereinbart.

Im Rennen um einen rettenden Impfstoff gegen das Coronavirus hat die EU-Kommission mit der Mainzer Firma Biontech die mögliche Lieferung von bis zu 300 Millionen Einheiten vereinbart.

Von mit Material der dpa

Europa hat beim Ringen um den ersehnten ersten Corona-Impfstoff eine entscheidende Hürde genommen. Der Vertrag mit den Herstellern ist perfekt. Doch ein Ende der Pandemie ist nicht schnell in Sicht.

Den Menschen in Europa soll der vielversprechende Corona-Impfstoff der Pharmafirmen Biontech und Pfizer schnell nach einer Zulassung zur Verfügung stehen. "Die Verhandlungen mit der Pharmaindustrie sind abgeschlossen", bestätigten Kommissionskreise am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. "Der Vertrag ist in trockenen Tüchern." Zuerst hatte die "Bild"-Zeitung darüber berichtet.

Deutschland möchte bis zu 100 Millionen Dosen erhalten. Damit sei die Bundesregierung in den Gesprächen in der EU angetreten, teilte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Dienstag in Berlin mit. Für eine Immunisierung sollen zwei Impfdosen pro Person nötig sein.

Nach Vertragsabschluss in der EU haben alle 27 Länder gleichzeitig Zugriff auf erste Lieferungen. Sie sollen nach Bevölkerungsstärke verteilt werden. Deutschland hat einen Anteil von rund 19 Prozent.

Die Unternehmen hatten am Montag bekanntgegeben, dass ihr Impfstoff einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor Covid-19 biete. Eine Zulassung zunächst in den USA soll frühestens kommende Woche beantragt werden.

Bereits der CSU-Europapolitiker Manfred Weber hatte zuvor im Fernsehsender Phoenix gesagt: "Die Verträge werden in den nächsten Stunden unterschrieben und dann auch durch die Kommissionsbeschlüsse morgen rechtlich verankert werden."

Die EU-Kommission verhandelt seit Monaten mit Biontech und Pfizer. Nach Vorgesprächen hatte die Behörde schon im September erklärt, sie wolle bis zu 300 Millionen Impfstoffdosen der Hersteller beziehen. Ein Rahmenvertrag war aber noch nicht zustande gekommen - anders als bei drei anderen Impfstoffherstellern.

Spahn erwartet einen zügigen Zulassungsprozess. So würden nicht wie üblich erst alle Daten gesammelt und dann nach Ende der Zulassungsstudie bei den Behörden eingereicht. Diesmal laufe das in direktem Austausch. Sowohl eine Zulassung in der USA als auch eine in Europa würden sehr zügig geschehen. Spahn versicherte: "Die Anforderungen, die wir stellen (...), sind nicht irgendwie abgesenkt oder geändert."

Deutschland als attraktiver Pharmamarkt hätte wie andere große EU-Staaten mit den Unternehmen auch alleine einen Vertrag schließen können, sagte Spahn. Doch mit Frankreich, Italien und den Niederlanden habe man sehr stark dafür geworben, dass dies die Kommission für alle EU-Staaten macht. Denn sonst hätten kleinere Staaten das Nachsehen gehabt. "Das ist manchmal etwas mühsamer, aber am Ende, wenn wir zusammenstehen, sind wir zusammen stärker." Als deutscher Gesundheitsminister könnte er der Bevölkerung nicht erklären, wenn andere Länder einen in Deutschland entwickelten Impfstoff früher erhielten, betonte Spahn zugleich erneut.

Weber sagte: "Die Verträge müssen fachlich, sachlich, rechtlich ordentlich abgeschlossen werden." Es habe am Schluss noch Diskussion darüber gegeben, dass Pfizer auch das Haftungsrecht Europas zu respektieren habe. Europa habe mit einer Stimme gesprochen, gegenüber dem US-Konzern Pfizer habe man so stärker auftreten können.

Spahn kündigte eine große Informationskampagne zur Corona-Impfung an. Es werde dabei auch erneut erklärt werden müssen, "warum wir priorisieren und wer zuerst geimpft wird". Zuerst sollen Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen, Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich, Polizisten, Feuerwehrleute, Lehrer und Erzieher geimpft werden, wie der Deutsche Ethikrat, die Wissenschaftsakademie Leopoldina und die Ständige Impfkommission empfohlen hatten. Informiert werden solle auch zur Technologie und möglichen Risiken und Nebenwirkungen.

Spahn zeigte sich optimistisch zur weiteren Entwicklung der Pandemie. Es gebe eine "sehr hohe Wahrscheinlichkeit", dass es im ersten Quartal 2021 einen ersten Impfstoff gebe. "Das ist Licht am Ende des Tunnels." Spahn sagte: "Das gibt mir, und ich wünsche das allen Bürgerinnen und Bürgern, auch Kraft für die Monate die schwer sind,
zu wissen, dass es zumindest eine gute Chance gibt darauf, dass der nächste Herbst und Winter deutlich besser werden kann als dieser." Die Aussicht solle die Menschen auch darin bestärken, "in diesem Winter besonders aufeinander aufzupassen und sich an die Regeln zu halten."

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) setzt auf eine Herstellung des Impfstoffs in großem Stil. "Es wird darauf ankommen, den Impfstoff nun möglichst rasch und in großen Mengen zu produzieren", sagte Karliczek der Deutschen Presse-Agentur.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte am Montag in der ARD-Sendung "hart aber fair", man wisse heute noch nicht, ob die, die geimpft seien, sich weiter mit dem Coronavirus infizieren und auch für andere Menschen ansteckend sein könnten. Bis ganz Deutschland bis zu einer "Herdenimmunität" durchgeimpft ist, vergeht nach Lauterbachs Einschätzung mindestens ein Jahr. Erst danach könne man darüber reden, auf Maske und Abstand zu verzichten. Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité, sagte, zu möglichen Nebenwirkungen lasse sich noch nicht all zu viel sagen.