Ärger noch nicht vorbei

Neues Brexit-Abkommen steht - und trifft auf Widerstand


Großbritanniens Premierminister Boris Johnson (l) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson (l) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Von Redaktion idowa und mit Material der dpa

Nur zwei Wochen vor dem Brexit-Termin haben sich London und Brüssel zusammengerauft. EU-Kommissionschef Juncker und der britische Premier Johnson ergehen sich in Harmonie. Doch die Feuerprobe kommt erst noch.

Die Zitterpartie um den Brexit geht trotz des neuen Abkommens zwischen London und Brüssel in die nächste Runde. Kaum war die Einigung über den britischen EU-Austritt am Donnerstag in Brüssel verkündet, kam erbitterter Protest aus dem britischen Unterhaus, das am Samstag zustimmen müsste. Premierminister Boris Johnson mahnte die Abgeordneten dringend zu einem Ja und nannte das neue Abkommen "großartig". Auch Kanzlerin Angela Merkel lobte den Kompromiss, der den Weg zu einem sanften Brexit in zwei Wochen ebnen soll.

Der Durchbruch war unmittelbar vor dem EU-Gipfel gelungen, zu dem Merkel, Johnson und die übrigen 26 Staats- und Regierungschefs nach Brüssel kamen. Johnson wandte sich am Nachmittag in der ersten Gipfelsitzung an seine Kollegen. Doch schienen sich die Staats- und Regierungschefs schon vorher weitgehend einig, nun eine gute Lösung gefunden zu haben.

"Es ist eine faire und ausgewogene Vereinbarung für die EU und Großbritannien und es steht für unseren Einsatz, Lösungen zu finden", schrieb EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf Twitter. Auch das EU-Parlament könnte sich rasch mit der Ratifizierung befassen.

Ganz anders waren die Reaktionen in London. Nicht nur die Labour-Opposition attackierte die Vereinbarung, sondern auch Johnsons parlamentarischer Partner, die nordirische Protestantenpartei DUP. Sie werde bei der Abstimmung im Unterhaus nicht zustimmen, kündigte die DUP an. Die vereinbarte Lösung sei dem wirtschaftlichen Wohl Nordirlands nicht zuträglich und untergrabe die Einheit des Vereinigten Königreichs.

Zum Schwur kommen könnte es bei einer Sondersitzung des Parlaments am Samstag. Johnson hat im Unterhaus ohnehin keine Mehrheit und kann nur auf Unterstützung aus der Opposition hoffen. "Ich hoffe sehr, dass meine Abgeordneten-Kollegen in Westminster jetzt einig werden, um den Brexit zu vollziehen, um diesen hervorragenden Deal über die Ziellinie zu bringen und den Brexit ohne weitere Verzögerung zu liefern", sagte Johnson an Junckers Seite in Brüssel.

Der britische Premier will sein Land unbedingt zu Halloween, am 31. Oktober, aus der Staatengemeinschaft führen. Lange hatte er versichert, Großbritannien werde auch ohne Deal aussteigen. Ein britisches Gesetz verpflichtet ihn aber, bei der EU um Aufschub zu bitten, falls bis Samstag kein Abkommen vom Parlament gebilligt ist. In dem Fall dürften die EU-Staaten dies auch gewähren.

In Brüssel beharrte Johnson auf einem pünktlichen Austritt. Juncker sprang ihm bei und sagte: "Wir haben einen Deal. Und dieser Deal bedeutet, dass es keine Notwendigkeit für irgendeine Verlängerung gibt." Auch EU-Unterhändler Michel Barnier hält die zwei Wochen bis zum Termin für ausreichend für die Ratifizierung. Auch er appellierte an das britische Unterhaus, Verantwortung zu übernehmen.

Streitpunkt war bis zuletzt die ursprünglich vereinbarte Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, der sogenannte Backstop. Derzeit gibt es keine Kontrollen zwischen beiden Teilen der irischen Insel. Das wollen Dublin und Brüssel erhalten, um den zerbrechlichen Frieden in dem ehemaligen Bürgerkriegsgebiet nicht zu gefährden.

Nach Barniers Worten umfasst die Einigung nun vier Punkte: Nordirland hält sich weiter an bestimmte EU-Warenstandards; Nordirland bleibt sowohl in einer speziellen Zollpartnerschaft mit der EU als auch in der Zollunion des Vereinigten Königreichs; es gibt eine Vereinbarung über die Mehrwertsteuer, um Marktverzerrungen zu vermeiden; und die nordirische Volksvertretung kann vier Jahre nach Inkrafttreten der Vereinbarung und dann nach bestimmten Zeiträumen immer wieder darüber abstimmen, ob sie weiter gelten soll.

Der vom Brexit besonders betroffene EU-Staat Irland trägt dies mit. "Wir haben eine einzigartige Lösung für Nordirland gefunden, die der einzigartigen Geschichte und Geografie Rechnung trägt", schrieb Regierungschef Leo Varadkar auf Twitter. Bundeskanzlerin Merkel nannte die Unterstützung Varadkars ein "ganz wichtiges Zeichen" und die Einigung vom Donnerstag "eine gute Nachricht".

Geändert wurde auch die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen der EU zu Großbritannien, wie Barnier erläuterte. Darin gebe Großbritannien "solide Garantien", dass EU-Standards etwa bei Umwelt- oder Sozialauflagen nicht unterboten werden. Das sei das bestmögliche Ergebnis gewesen, sagte Barnier.

Labour-Chef Jeremy Corbyn sieht trotzdem die Sicherheit von Lebensmitteln, den Umweltschutz und die Rechte von Arbeitnehmern nach dem EU-Austritt in Gefahr und spricht von einem "Ausverkauf". Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei erklärte: "Es scheint, dass der Premierminister einen noch schlechteren Deal verhandelt hat als (seine Vorgängerin) Theresa May."

Die Briten hatten vor gut drei Jahren mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt.