Studie
Psychologe: Gefühl der Ausweglosigkeit bei Wählern
30. Januar 2025, 10:04 Uhr
Die Stimmung vieler Wähler ist einer tiefenpsychologischen Studie zufolge von Sorgen, Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit bestimmt. Die Folgen einer stotternden Wirtschaft, bröckelnden Infrastruktur und teils fehlgesteuerten Migration würden zunehmend im Alltag der Menschen spürbar, ergab die Studie des Kölner Rheingold-Instituts. "Und kaum jemand glaubt daran, dass sich die Lage durch einen Regierungswechsel nach der Bundestagswahl verbessern wird", sagte Institutsleiter Stephan Grünewald der Deutschen Presse-Agentur.
Die Untersuchung basiert auf ausführlichen Interviews mit 50 Wählerinnen und Wählern vom 13. bis zum 23. Januar. Die Befragten waren zwischen 20 und 65 Jahren alt, ihre Parteienaffinität entsprach der Stimmenverteilung der Wahlumfragen in der ersten Januarhälfte. Die nicht repräsentative Studie zielt darauf ab, Ängste, Sehnsüchte und Wahrnehmungsmuster zutage zu fördern, die Meinungsumfragen nicht erfassen können.
Schon in früheren Studien, etwa während der Corona-Pandemie und zu Beginn des Ukraine-Kriegs, hatte das Rheingold-Institut eine Krisenstimmung in der Bevölkerung ermittelt. Damals reagierten viele Menschen auf die äußere Bedrohung mit einem Rückzug ins Private. Doch das gelinge inzwischen kaum noch, sagte Grünewald.
Die Attentate von Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg unterhöhlten das Sicherheitsempfinden. Ressentiments gegenüber Geflüchteten nähmen zu, da dem "Vater Staat" vorgeworfen werde, den "fremden Kindern" mehr Zuwendung zu schenken als den "eigenen Kindern". Die hohe Inflation schwäche die Kaufkraft und schüre Verlustängste, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum führe dazu, dass sich manche als Heimatvertriebene im eigenen Land fühlten. Gleichzeitig erschwere die marode Infrastruktur - kaputte Straßen und Schienen, Ausfälle an Kitas und Schulen - den Alltag.
Angesichts dieses Bergs von Problemen hatten viele Wählerinnen und Wähler große Erwartungen in die Ampel-Regierung gesetzt. "Doch statt einer väterlichen Schutzmacht haben wir einen steten Bruderzwist erlebt", sagte Grünewald. "Der Dauerzank in Berlin hat im Land das Gefühl erzeugt, dass man verwaist ist und allein gelassen mit den Problemen."
Angesichts der dadurch erfahrenen Kränkung herrschten quer durch die politischen Lager große Irritation und Unverständnis darüber, dass alle drei Spitzenpolitiker der Ampel - Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) - erneut anträten: "Dreist, dass sich alle wieder aufstellen", sei eine oft gehörte Äußerung gewesen.
Als Wunschkanzler werde in den Interviews ein durchsetzungsstarker Macher mit einem Blick für deutsche Interessen, aber auch mit fürsorglichen Zügen erkennbar. Dieses Profil hätte am ehesten Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erfüllt, jedoch keiner der tatsächlichen Kanzlerkandidaten, so Grünewald. "CDU-Chef Friedrich Merz werden allgemein die besten Chancen eingeräumt, Kanzler zu werden, doch was er will, ist den Menschen nicht wirklich klar, zumal er als sehr impulsiv und somit unberechenbar eingeschätzt wird."
Da die Wähler zudem keine überzeugende Koalitionsoption sehen, verstärkt sich eine resignierte Stimmung mit dem Tenor, dass die erhoffte Wende zum Besseren auch nach der Bundestagswahl ausbleiben werde. Ein "Weiter so" erscheine angesichts der gewaltigen Herausforderungen jedoch geradezu bedrohlich - im Hintergrund stehe die Befürchtung, dass dies der AfD massiv in die Hände spielen würde.
Die dadurch empfundene Ausweglosigkeit birgt den Ergebnissen zufolge auch ein explosives Element aufgrund der weiter voranschreitenden gesellschaftlichen Spaltung. "Mitunter hatten wir in den Tiefeninterviews den Eindruck, dass die befragten Wählenden in komplett unterschiedlichen Wirklichkeiten leben und die Welt vollkommen anders wahrnehmen", sagte Grünewald. Für das eher links-bürgerliche Lager sei eine Machtbeteiligung der AfD das absolute Schreckbild. Hier hege man die verzweifelte Hoffnung, dass die anderen Parteien im konstruktiven Schulterschluss die Probleme doch noch irgendwie in den Griff bekommen werden.
Das eher konservative, AfD-nahe Lager neige hingegen dazu, die Lage eher noch zu dramatisieren. In dieser Wählergruppe gebe es eine Sehnsucht danach, dass jemand das bestehende System sprenge und den Problemstau radikal auflöse. Der Regierungsantritt von US-Präsident Donald Trump befeuere dies noch.
Was ist angesichts dieser enormen Herausforderungen nun zu tun? Psychologe Grünewald hat folgenden Rat: "Die Brandmauer zur AfD ist richtig und wichtig, doch sie funktioniert nur, wenn die demokratischen Parteien Probleme jetzt wirklich lösen und liefern. Wenn es in der nächsten Regierung erneut so dicke Luft wie in der Ampel geben sollte, dann führt dies zur Erstickung der Demokratie."