AZ-Interview
Theo Waigel: "Eine Rückkehr zur D-Mark ist keine Option"
2. April 2020, 8:41 Uhr aktualisiert am 2. April 2020, 8:41 Uhr
Der Euro ist in Zeiten der Corona-Krise gewaltig unter Druck geraten - wie sein "Erfinder" Theo Waigel die jetzige Situation einschätzt.
Berlin/München - Wie stark gefährdet die Pandemie die Europäische Währungsunion? Eine Frage, die angesichts der - auch finanziell - geschwächten Patienten der Eurozone hochakut ist. Selbst der Binnenmarkt, die wichtigste Errungenschaft und Klammer der Europäischen Union, funktionierte anfangs der Corona-Krise nicht mehr einwandfrei.
Das von Deutschland zeitweilig verhängte Exportverbot für Atemschutzmasken sorgte südlich der Alpen für gewaltige Empörung, denn die Menschen im gebeutelten Italien fühlten sich vom starken Nachbarn im Stich gelassen.
Die AZ fragte einen der Väter der europäischen Gemeinschaftswährung, "Mister Euro" Theo Waigel, nach seiner Einschätzung zur Corona-Krise.
Sieht Theo Waigel den Euro in Gefahr?
AZ: Herr Waigel, es zeichnet sich wieder - wie zu Zeiten der Finanzkrise - eine Spaltung Europas in Nord und Süd ab. Der sowieso schon finanzschwache Süden fordert vom starken Norden Loyalität ein, um die Krise zu bekämpfen. Der Norden sträubt sich. Wie sollte die Währungsunion auf die Pandemie reagieren?
THEO WAIGEL: Ich sehe keine Spaltung, ich sehe nur unterschiedliche Auffassungen. Der Süden hätte gerne eine unbegrenzte Haftung aller Staaten für neue Schulden, der Norden lehnt dies ab. Dabei war die Europäische Zentralbank (EZB) schon in der Finanzkrise ein Glücksfall für Irland, Portugal, Spanien, Zypern und selbst Griechenland, die sich dank der koordinierten Hilfe allesamt einigermaßen erholen konnten. Und jetzt stehen dank des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wieder Hunderte Milliarden Euro zur Abfederung der Corona-Folgen bereit.
Sehen Sie den Euro in Gefahr? Wenn ja, was wären die Folgen, falls Deutschland zur D-Mark, Frankreich zum Franc etc. zurückkehren würden oder müssten?
Würde Deutschland zur D-Mark zurückkehren, wären die Folgen dramatisch. Die Aufwertung der Währung würde den sowieso schon gebeutelten deutschen Export hart treffen. Und die Südländer müssten von einem Tag auf den anderen deutlich höhere Zinsen bezahlen, als sie das derzeit tun. Ein Verlassen der Währungsunion wäre für kein Land eine Option. Zumal niemand weiß, wie lange die Maßnahmen dauern werden. An deren Ende wird es jedenfalls sehr viel Geld brauchen, um die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen.
"Die Menschen wollen bloß eines: Raus"
Skizzieren Sie bitte die Folgen der Pandemie für die deutsche, europäische und Weltwirtschaft. Wie lange werden wir mit den Nachwirkungen von Corona kämpfen müssen?
Nach solchen Krisen setzt - das hat auch die Nachkriegszeit gezeigt - ein Aufholprozess ein. Wenn die Menschen wochenlang in ihren Häusern waren, wollen sie bloß eines: Raus. Davon profitieren Friseure, die Gastronomie, Hotels und viele andere.
Was wichtig ist: Nach der Krise müssen sich die Politiker dringend zusammensetzen, um eine Strategie zu entwickeln, damit man in Zukunft für solche Szenarien besser gerüstet ist. Der totale Protektionismus, wie er derzeit von den meisten Ländern in Europa praktiziert wird, der funktioniert nicht. Bestimmte Dinge müssen im Sinne einer notwendigen Vorsorge in Europa vorgehalten werden.
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