Lage im Überblick
USA: Gespräche mit Syriens neuen Machthabern positiv
21. Dezember 2024, 05:52 Uhr
US-Diplomaten haben sich erstmals seit dem Umsturz in Syrien vor Ort mit Vertretern der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) getroffen und das Millionen-Kopfgeld auf deren Anführer aufgehoben. Man habe in Damaskus positive Gespräche geführt, sagte Barbara Leaf, für den Nahen Osten zuständige Spitzendiplomatin im US-Außenministerium, im Anschluss. Der Anführer der HTS, Ahmed al-Sharaa, habe zugestimmt, dass Terrorgruppen weder innerhalb Syriens noch nach außen eine Bedrohung darstellen dürften. Die HTS hat nach dem Sturz von Staatschef Baschar al-Assad Anfang Dezember die Macht in dem Land übernommen.
Die Syrer hätten die Chance, "eine neue, freiere und integrative Gesellschaft zu schaffen, die sowohl in der Region als auch auf der Weltbühne ihren rechtmäßigen Platz einnimmt", sagte Leaf. Die USA wollten mit dem syrischen Volk zusammenarbeiten, "um diese historische Chance zu ergreifen".
Die USA hatten vor einigen Jahren ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen US-Dollar auf al-Schaara ausgelobt, der bis vor kurzem unter seinem Kampfnamen Mohammed al-Dschulani aufgetreten war. Auf Grundlage ihres Gesprächs habe sie ihm gesagt, dass die USA das Kopfgeld auf ihn jetzt "nicht weiterverfolgen würden", sagte Leaf im Anschluss an das Treffen. Al-Schaaras HTS wird von den USA und der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft.
Unterdessen wurde Israel in der Nacht erneut Ziel eines Raketenangriffs aus dem Jemen. In der Hafenmetropole Tel Aviv ging ein Projektil nieder, es gebe mehrere Leichtverletzte, teilte die israelische Armee in der Nacht mit. Sie würden medizinisch versorgt. Abfangversuche seien zuvor erfolglos gewesen, hieß es weiter. Im Zentrum des Landes hatten die Warnsirenen geheult.
Die israelische Luftwaffe hatte in dieser Woche nach eigenen Angaben als Reaktion auf Raketen- und Drohnenangriffe der Huthi-Rebellen im Jemen Häfen und die Hauptstadt Sanaa bombardiert. Ein Raketenangriff der Huthi war in der Nacht zum Donnerstag abgewehrt worden. Nach eigenen Angaben will die Miliz die Hamas im Gazastreifen gegen Israel unterstützen. Die Miliz ist wie die Hamas und die libanesische Hisbollah-Miliz mit Israels Erzfeind Iran verbündet.
Im Norden Syriens gehen derweil laut Aktivisten die schweren Gefechte zwischen protürkischen Kräften und Kurdenmilizen weiter. Besonders um die Stadt Kobane unweit der Grenze zur Türkei gebe es heftige Zusammenstöße, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Kämpfer der von der Türkei unterstützen Syrischen Nationalen Armee (SNA) und Verbündete versuchten, Kobane unter ihre Kontrolle zu bringen, hieß es.
Im Kampf mit den kurdisch angeführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) seien auch türkische Drohnen im Einsatz gewesen. Die SDF bestätigten die Kämpfe. Auch in der Gegend um Rakka gab es nach Angaben der Beobachtungsstelle türkische Drohnenangriffe. Es solle dabei Opfer gegeben haben.
Außenministerin Annalena Baerbock warnte die Türkei vor einer Eskalation der Auseinandersetzung um die Kurdengebiete. "Die Sicherheit gerade auch von Kurdinnen und Kurden ist essenziell für eine freie und sichere Zukunft Syriens", sagte die Grünen-Politikerin nach Gesprächen mit ihrem türkischen Kollegen Hakan Fidan und Geheimdienstchef Ibrahim Kalin in Ankara. Sie fügte hinzu: "Es war gut zu hören, dass dies auch der türkische Außenminister so sieht."
Der Türkei wird vorgeworfen, die Lage in Syrien nutzen zu wollen, um die unter Verwaltung kurdischer Milizen stehenden Gebiete im Norden zu zerschlagen. Die Kurden und die SDF werden von den Vereinigten Staaten unterstützt. Während die SDF für die USA ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien sind, sieht die Türkei die Miliz als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK - und damit als Terrororganisation.
Ihre türkischen Gesprächspartner hätten zu Recht vor den Gefahren des Terrorismus gewarnt, der die Sicherheitsinteressen ihres Landes gefährde, sagte Baerbock. "Das ist ein legitimes Anliegen." Man spreche intensiv mit der Türkei, aber auch den USA und international darüber, wie die Sicherheit der Türkei und der anderen Nachbarn Syriens gewährleistet werden könne, ohne die territoriale Integrität Syriens zu verletzen. Dazu gehöre, dass die Milizen entwaffnet und in eine künftige nationale Sicherheitsstruktur integriert werden.
Baerbock warnte zugleich vor einem Erstarken des Islamismus in Syrien. Sie bezog sich dabei auf Aussagen des Sprechers der HTS, Obaida Arnaut. Dieser hatte in einem TV-Interview gesagt, Frauen seien aufgrund ihrer "biologischen Natur" für das Amt einer Verteidigungsministerin oder für Rollen in der Justiz ungeeignet. "Eine radikal islamistische Ordnung" werde nur zu neuer Fragmentierung, neuer Unterdrückung und damit zu neuen Kämpfen führen, sagte Baerbock. Die zukünftigen Machthaber müssten deutlich machen, dass sie alle ethnischen, religiösen Gruppen und Frauen in den politischen Prozess integrierten. Das Erstarken von Islamisten dürfe keine Chance haben.
HTS-Anführer al-Scharaa gab sich zuletzt moderat und hatte ein Syrien für alle versprochen. Nach dem Treffen mit ihm in Damaskus sagte die US-Diplomatin Leaf: "Wir unterstützen uneingeschränkt einen politischen Prozess unter syrischer Führung und in syrischer Verantwortung, der zu einer inklusiven und repräsentativen Regierung führt, die die Rechte aller Syrer, einschließlich der Frauen und der verschiedenen ethnischen und religiösen Gemeinschaften Syriens, achtet". Man begrüße "die positiven Botschaften" ihrer Gesprächspartner. Es müssten nun Taten "und nicht nur Worte" folgen, hieß es.
Es war laut Leaf der erste Besuch von US-Diplomaten in Syrien seit 2012, als die USA nach Beginn des Bürgerkriegs im Jahr zuvor die diplomatischen Beziehungen zu dem Land Syrien abgebrochen hatten. Neben Leaf nahmen auch der US-Sondergesandte für Geiselnahmen, Roger Carstens, und der US-Sondergesandte für Syrien, Daniel Rubinstein, an den Gesprächen mit Vertretern der Islamistengruppe HTS teil. Washington hatte bereits vorher Kontakt zur HTS, ringt jedoch um den Umgang mit der Islamistengruppe.
Beim Besuch der US-Diplomaten ging es auch um vermisste US-Bürger wie den Journalisten Austin Tice. Dieser war 2012 in Syrien verschleppt worden. Carstens sagte, man habe in Damaskus viele Informationen über Tice erhalten, aber keine habe bisher sein Schicksal auf die eine oder andere Weise bestätigt.
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