AZ-Kommentar
Wahl-Beben in Thüringen: Der Erfurter Sündenfall
5. Februar 2020, 19:59 Uhr aktualisiert am 5. Februar 2020, 19:59 Uhr
AZ-Korrespondent Torsten Henke über die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen.
Es war ein gewaltiges Erdbeben am Mittwoch in Erfurt, dessen Schockwellen bis nach Berlin und darüber hinaus reichten. Erstmals hat sich ein Ministerpräsident bewusst mit den Stimmen der AfD wählen lassen, ohne sie wäre der FDP-Mann Thomas Kemmerich nicht ins Amt gekommen. Es ist der Sündenfall. Zumal die AfD in Thüringen nicht irgendeine ist, sondern die Björn Höckes vom völkischen Flügel. Die große Verliererin dieses Machtspiels ist die Demokratie. Auch, weil kaum ein Bürger Verständnis dafür haben dürfte, dass der Regierungschef aus der kleinsten Partei im Landtag kommt, die nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde überwunden hat.
Die FDP könnte bundesweit einen hohen Preis zahlen. Denn etliche Wähler dürften sich fragen, was an einer Partei, die mithilfe rechtspopulistischer Steigbügelhalter an die Regierung kommt, überhaupt noch liberal ist. Dass die SPD sich für eine Koalition mit Kemmerichs FDP und der CDU hergibt, ist kaum vorstellbar.
CDU fällt auf AfD herein und kritisiert diese jetzt scharf
Eine besonders schändliche Rolle in diesem Schurkenstück spielt die CDU. Landeschef Mike Mohring hat mit gespielter Naivität erklärt: "Wir sind nicht verantwortlich für das Wahlverhalten anderer Parteien." Da macht er es sich zu leicht. Die CDU hat es mit ihren Stimmen erst ermöglicht, dass sich Höcke nun als Königsmacher aufspielen kann.
Die CDU ist auf die Finte der AfD reingefallen, die im dritten Wahlgang ihren Kandidaten fallengelassen hat. Das war in den überraschten Gesichtern nach dem Votum abzulesen. Diese Blamage hätte die Union vermeiden können, wenn sie mit Bodo Ramelow zusammen eine stabile Regierung gebildet hätte. Wenn die CDU in Zukunft einer Zusammenarbeit mit der AfD eine Absage erteilt, haben die Wähler Grund zur Skepsis. Daran ändert die scharfe Kritik von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer an Mohring nichts.
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