Unabhängigkeit Schottlands
„Der Brexit hat alles verändert“: Ein Interview mit dem Straubinger Schotten Colin Macpherson
21. April 2017, 16:31 Uhr aktualisiert am 21. April 2017, 16:31 Uhr
Nicht nur Bayern trägt die Farben Weiß und Blau. Der Straubinger Schotte Colin Macpherson macht sich für die Unabhängigkeit seines Heimatlands Schottland und seinen Verbleib in der EU stark. Ein Interview.
Viele Leute kennen Colin vom Sehen her. Seit sechs Jahren wohnt der gebürtige Schotte in Straubing, seit 30 Jahren lebt er in Bayern. Der 46-Jährige moderiert den Fan-Talk der Straubing Tigers und immer wieder Karaoke-Abende. Darüber hinaus macht sich Colin noch für ein anderes Thema stark: die Unabhängigkeit Schottlands und den weiteren Verbleib seiner Heimat in der EU. Am 22. April spricht er beim "International March for Scottish Independence" in Den Haag, der größten Veranstaltung zu diesem Thema auf dem europäischen Festland. Im Interview erzählt Colin, was seine Motivation dafür ist und was ihm dabei besonders wichtig ist.
Colin, wie kamst du dazu, dich für die schottische Unabhängigkeit einzusetzen?
Colin Macpherson: Vor 30 Jahren gab es eher kleinere Bewegungen, neben der SNP (Scottish National Party), die sich um die schottische Unabhängigkeit bemühten. In den vergangenen Jahren wurden es deutlich mehr Leute und der Traum viel realistischer. Die Wiedereinführung des Schottischen Parlaments in den späten 90er-Jahren war ein wichtiger Schritt dazu. Die SNP bildet dort seit 2007 die Regierung. Beim Referendum 2014 haben 45 Prozent der Wähler für den Austritt aus dem Vereinigten Königreich gestimmt, was ein überraschender Anstieg von anfangs geschätzten 20 Prozent war. Ich habe mich schon damals dafür interessiert und die Bewegung unterstützt, soweit ich konnte. Wegen der Entfernung maßgeblich über soziale Medien.
Dein Engagement nahm im vergangenen Jahr deutlich zu. Was war der Auslöser?
Der Brexit hat alles verändert. Die schottischen Wähler haben mit 62 Prozent für den Verbleib in der EU abgestimmt, jedoch durch die zahlenmäßige Überlegenheit der britischen Wahlberechtigten, wird die EU gegen den Willen der schottischen Bevölkerung verlassen. 2014 hieß es, der Verbleib Schottlands in der EU wäre nur durch den Verbleib im Vereinten Königreich möglich. Dem ist wohl nicht ganz so. Seit dem Brexit haben sich viele - auch europäische Politiker - wohlwollend über eine schottische Unabhängigkeit geäußert. Das macht die Unabhängigkeit von Großbritannien zu einem europäischen Thema.
Der schottische EU-Abgeordnete Alyn Smith appellierte an die EU-Parlamentarier mit den sehr emotionalen Worten: "Bitte behalten Sie in Erinnerung, dass Schottland Sie nicht im Stich gelassen hat. Und ich bitte Sie, Kollegen, bitte lassen Sie jetzt nicht Schottland im Stich." Seine Rede kam sehr gut an. Ich unterstütze diese Worte.
Und deshalb bist du nun in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter so aktiv.
Genau. Ich bin mittlerweile einer der Administratoren der Facebook-Seite "Germans for Scottish Independence", die seit vergangenem Jahr eine deutlich höhere Reichweite gewonnen hat. Ich poste dort immer wieder aktuelle Zusammenfassungen, Änderungen und Aufrufe, natürlich zweisprachig, sodass sich jeder informieren kann.
Zur Erklärung: Die Seite ist auch für Deutsche, die in Schottland wohnen, und Schotten, die in Deutschland wohnen gedacht. Diese Leute sind gleichermaßen betroffen. Ihr Recht dort zu leben, wo sie seit vielen Jahren zu Hause sind, wird ohne eigenes Mitspracherecht auf einmal weggenommen. Zumindest besteht für sie bald nicht mehr das Gesetz der Allgemeinen Freizügigkeit für EU-Bürger.
Aber was kümmert dich das als selbstgewählter Straubinger?
Auch wenn Straubing die Wahlheimat ist, bin ich überzeugter Schotte und möchte das Beste für mein Heimatland. Mich stört, wie der demokratische Wille der Schotten von dem Englischen Parlament in Westminster ignoriert wird. Aufgrund der Implosion der britischen Labour Party, ist davon auszugehen, dass Regierungschefin Theresa May und ihre Tory-Partei auf absehbare Zeit freie Hand haben und die Gesellschaft, vor allem die Schwächeren und Kranken, zunehmend unterdrückt wird. Ein aktuelles Beispiel: Seit Kurzem bekommen Mütter nur für die ersten zwei Kinder Unterstützung. Um Anspruch für ein Drittes zu haben, muss die Mutter nachweisen, dass das Kind gegen ihren Willen gezeugt wurde. In so einer Gesellschaft soll keiner leben.
Ist der Verbleib in der EU und die Unabhängigkeit Schottlands gleichermaßen wichtig?
Meiner Meinung nach: Ja. Schottland ist ein inklusives Land und heißt jeden willkommen, der dort sein Zuhause aufbauen möchte. Während Westminster Tories die Rechte der drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien nicht garantieren wollen, sondern eher als Pokerchips betrachten, setzt sich die schottische Regierung dafür ein, dass die Rechte schnellstmöglich garantiert werden. Die Immigration, vor allem aus den neuen EU-Ländern, spielte beim Brexit eine große Rolle. Schottland lebt von seiner Diversität. Deshalb ist ein Beibehalten der Freizügigkeit für Schottland so wichtig, ebenso wie andere Vorteile der Europäischen Gemeinschaft, zum Beispiel der Zugang zum Binnenmarkt. Aufgrund des derzeitigen demokratischen Defizits ist Unabhängigkeit die höhere Priorität, es zeichnet sich aber ab, dass ein unabhängiges Schottland weiterhin Mitglied der EU bleiben würde.
Letzte Frage: Was machst du, wenn die Ziele, für die du dich so einsetzt, erreicht sind?
Dann besauf ich mich erst mal drei Tag'! (lacht)