U20-Nationaltrainer im Interview
Christian Künast: "Aus der Talsohle kommen wir nur gemeinsam raus"
4. Februar 2016, 8:30 Uhr aktualisiert am 4. Februar 2016, 8:30 Uhr
Nächste Woche steht für die U19-Eishockey-Nationalmannschaft in Deggendorf ein Fünf-Nationen-Turnier an. Die deutschen Nachwuchsspieler treffen dann auf Schweden, Tschechien, Finnland und die Schweiz. Nationaltrainer Christian Künast spricht im Interview über das anstehende Turnier und sagt seine Meinung über die aktuelle Situation im deutschen Nachwuchs.
Herr Künast, kommende Woche steht das Fünf-Nationen-Turnier Ihrer U19-Nationalmannschaft in Deggendorf an. Welche Bedeutung hat das für Sie?
Christian Künast: Das ist sehr wichtig für alle Beteiligten. Es gibt nicht so viele Maßnahmen im Jugendbereich. Die U19 ist unsere nächste U20 und für die Spieler ist es der erste Test auf diesem Niveau.
Worauf haben Sie bei der Kadernominierung Wert gelegt?
Künast: Ich bin das ganze Jahr unterwegs, schaue bis zu vier Spiele am Wochenende und spreche viel mit den Vereinstrainern. Von daher kenne ich viele Spieler. Die Auswahl ist auch nicht so groß. Wichtig war mir, nur Spieler des Jahrgangs 1997 zu nehmen.
Was ist Ihnen beim Turnier wichtig?
Künast: Die Mannschaft soll sich so präsentieren, dass sie jeden Tag ein Stück besser wird. Auch die Arbeitseinstellung ist wichtig. Die Spieler sollen wissen, dass jeden Tag harte Arbeit auf sie zukommt. Wir spielen gegen sehr gute Gegner und die Spieler müssen erkennen, dass das ein anderes Niveau ist, als sie es bislang kennen.
Sie sprechen die Gegner schon an. Ihre Mannschaft trifft auf Schweden, Tschechien, Finnland und die Schweiz. Wie sehen Sie Ihr Team im Vergleich dazu?
Künast: Das sind alles Top-Nationen aus der A-Gruppe, wir sind in der Weltrangliste viel weiter hinten. Jeder Gegner ist gegen uns der Favorit. Letztes Jahr habe ich dasselbe Turnier mit der U19 in Schweden gemacht, da haben wir zum Beispiel gegen Schweden das erste Spiel nicht schlecht gespielt, aber trotzdem mit 1:8 verloren. Das ist im Moment einfach eine andere Liga als wir. Aber für die Spieler ist es gut, damit sie sehen, was international Sache ist und dass sie sich mit diesen Spielern messen können. Eines ist auch klar: Auch wenn die Gegner vielleicht übermächtig sind, wollen wir gegen alle Mannschaften gut aussehen.
Sie sind jetzt seit rund einem halben Jahr als U20/U19-Trainer beim DEB tätig. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Künast: Es ist die erwartet schwere Aufgabe, weil es im deutschen Eishockey momentan allgemein nicht so einfach ist. Aber das wusste ich vorher bereits. Ich arbeite jeden Tag dafür, dass wir ein Stück vorankommen und das wird auch noch länger dauern, bis man die ersten Früchte sieht. Im Nachwuchs dauert es acht bis zehn Jahre, bis man erste Resultate erkennt und ich habe gerade einmal sechs Monate hinter mir. Es ist nicht einfach, aber es ist eine Arbeit, die mir sehr viel Spaß macht.
Christian Künast über die Entwicklung im deutschen Nachwuchs
Spürt man beim DEB beziehungsweise im deutschen Eishockey allgemein allein durch die Person Marco Sturm einen neuen Aufschwung?
Künast: Wenn man eine Person wie Marco vorne dran hat, dann ist von Haus aus eine Aufbruchstimmung da, nur sollte man sie auch nutzen. Man darf nicht immer von Aufschwung sprechen und dann passiert nichts. Man muss mit allen handelnden Personen gemeinsam versuchen, das in die richtige Richtung zu leiten. Dabei hilft ein Marco Sturm an der Spitze natürlich ungemein.
Was hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren im deutschen Nachwuchs getan?
Künast: Das ist eine schwierige Frage. Ganz genau beleuchtet habe ich in den vergangenen zwei Jahren den Straubinger Nachwuchs, weil ich dort gearbeitet habe. Man sieht schon, dass viele Leute bemüht und gewillt sind, etwas zu verändern. Das Wichtigste ist in meinen Augen, dass man in der U10 Maßnahmen ergreift, denn es muss sich etwas in der Breite verändern. Das ist der wichtigste Schritt, der ist noch nicht getan, aber er ist auf den Weg gebracht. Das ist das, was uns am meisten fehlt. Wenn jetzt alle vom Handball sprechen, darf man nicht vergessen: Handball hat 850.000 aktive Spieler, im Eishockey haben wir 25.000. Wenn die Breite vergrößert ist, dann dauert es aber immer noch einige Jahre, bis das auch oben ankommt.
Nach dem ersten Schritt müssen weitere folgen. Was muss also anschließend getan werden?
Künast: Es sollte auf allen Ebenen konsequent und besser gearbeitet werden. Zunächst, damit mehr Kinder für den Sport begeistert werden und dann muss mit ihnen spezifischer und besser gearbeitet werden. Die Ausbildung muss sich ändern, damit wir in allen Belangen, auch technisch und läuferisch, mithalten können. Andere Nationen sind da einfach weiter als wir. Die machen im Training auch nicht viel anders als wir, haben aber einfach die größere Anzahl an Kindern. Nehmen wir als Beispiel die Torhüterposition. In Finnland gibt es die Stadt Tampere mit zwei Eishockey-Vereinen. Da hat einer im Nachwuchs alleine 70 Torhüter. Ich weiß nicht, wie viele Städte wir in Deutschland brauchen, bis wir 70 Torhüter im Nachwuchs zusammenbekommen. Das ist einfach eine Sache der Breite. Man kann so viel reden wie man will, wenn wir die Breite nicht bekommen, dann wird sich nicht viel verändern. Wenn uns das gelingt, dann müssen wir die Ausbildung anpassen und Eishockey professioneller machen. Dann sind wir auf einem guten Weg.
Die Breite fehlt ganz unten. Fehlt sie aber auch in der Spitze? Wenn man sich die Kader der Junioren-Nationalmannschaften ansieht, fällt auf: Nur etwa eine handvoll Teams der DEL stellen Spieler.
Künast: Ich denke eher, dass es für die Spieler nicht so einfach ist, den Sprung in den Profibereich zu schaffen und dort Fuß zu fassen. Bei anderen Nationen spielen die U20-Spieler alle bereits im Profibereich und keiner mehr im Nachwuchs. Das ist auch etwas, wo man anpacken muss, aber es ist ein weiter Weg. Dafür muss man erst die Spieler produzieren. Dass es auf zu wenigen Schultern verteilt ist, glaube ich nicht. Klar kommt es auch darauf an, wie viel man macht, vor allem aber darauf, wie man arbeitet.
Lohnt sich Nachwuchsarbeit für die Vereine noch?
Ebenfalls auffällig ist, dass viele Vereine, die nicht in der DEL spielen wie Landshut oder Bad Tölz einen guten Nachwuchs haben, was ja immer auch mit Investitionen verbunden ist, letztlich aber kaum davon profitieren. Lohnt sich intensive Nachwuchsarbeit in Deutschland für die Vereine überhaupt noch?
Künast: In meinen Augen zu einhundert Prozent. Klar ist es ein finanzieller Aufwand. Aber einen eigenen Spieler zu produzieren ist immer noch günstiger, als ihn von irgendwo zu holen. Und unabhängig von der Liga: Ein Verein, der eine gute Nachwuchsarbeit macht, weiß, dass er auch in den kommenden Jahren auf diesem Niveau mitspielen kann. Das sieht man bei den Eisbären Berlin, die jahrelang sehr gut im Nachwuchs gearbeitet haben und heute noch davon profitieren. Von dem, was die Jungadler Mannheim immer wieder rausbringen, lebt das ganze deutsche Eishockey. Es gibt nichts Wichtigeres als die Produktion von eigenen Spielern und es lohnt sich hundertprozentig.
Sie haben zwei Jahre im Straubinger Nachwuchs gearbeitet. Wie schwer ist es, bei einem Club eine gute Nachwuchsarbeit aufzubauen?
Künast: Ganz klar ist: Gute Arbeit kostet auch Geld. Das fehlt zum einen und auch in Straubing fehlen irgendwo die Kinder. Das ist ein begeisterter Eishockeystandort, wo die Sportart, wenn man Volleyball ausklammert, fast konkurrenzlos ist. Aber es ist wie überall anders auch: Die meisten gehen zum Fußball und um die anderen Kinder kämpfen die restlichen Sportarten. Eishockey ist nicht gerade der billigste Sport und deshalb müssen immer Mittel und Wege gefunden werden, um das attraktiv zu machen für die Kinder. Das ist in Straubing schwer, genauso aber auch in Berlin, Köln oder Mannheim. In Straubing habe ich schon gemerkt, dass eine gewisse Begeisterung da ist, dann geht da auch etwas voran. Da muss man jetzt eben auch dranbleiben. Und gute Nachwuchsarbeit merkt man letztlich erst Jahre später.
In den letzten Wochen hat eine Aussage von Moritz Müller für Aufsehen gesorgt, der die Iserlohn Roosters für die Anzahl an eingebürgerten Spielern kritisierte ("kanadische 1c-Nationalmannschaft"). Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Künast: Mein einziger Kommentar zur Aussage von Moritz Müller: Das ist seine Meinung und jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung. Ansonsten ist es mein Job, die deutschen Spieler so gut zu entwickeln, dass die DEL-Vereine nicht mehr daran vorbeikommen. Einbürgerung ist nicht in meiner Hand und nicht mein Thema, ich konzentriere mich nur auf meine Arbeit und das ist, die deutschen Nachwuchsspieler besser zu machen.
Zum Abschluss noch: Wo sehen Sie das deutsche Eishockey in fünf beziehungsweise zehn Jahren?
Künast: (lacht) Das ist jetzt eine brutale Frage. Ich hoffe weiter vorne. Das ist ganz klar mit Hoffnung verbunden. Es ist eine Aufbruchstimmung zu spüren. Aber eines muss allen Beteiligten klar sein: Es ist ein sehr harter und sehr langer Weg. Vor allem im Nachwuchs befinden wir uns aktuell in einer Talsohle und da kommt man nur raus, wenn alle zusammenhelfen. Dann kann es auch in fünf oder zehn Jahren wieder besser aussehen.