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Abschied von einer Legende: Danke, Rosi. Pfiat di!

Mit Rosi Mittermaier ist eines der größten Sport-Idole, das Deutschland je hervorgebracht hat, verstorben. Ein ganz persönlicher Nachruf von AZ-Reporter Florian Kinast, der sie über viele Jahre begleitet hat.


Sympathisch, herzlich, gut: Die deutsche Wintersport-Legende Rosi Mittermaier ist am Mittwoch im Alter von 72 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben.

Sympathisch, herzlich, gut: Die deutsche Wintersport-Legende Rosi Mittermaier ist am Mittwoch im Alter von 72 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben.

Von Florian Kinast

Das Werdenfelser Land erlebte einen dieser Wintertage mit kitschigem Postkartenpotenzial, damals im Januar 2002. Unter einem surreal blauen Himmel funkelten die verschneiten Felszacken des Wettersteinmassivs durch das große Terrassenfenster ins Garmischer Wohnzimmer, als das gut dreistündige Gespräch mit Christian Neureuther gegen Mittag allmählich zu Ende ging.

Es war um die bevorstehenden Winterspiele gegangen, um Olympia 2002 damals in Salt Lake City. Um die Goldchancen der Ski-Asse Martina Ertl und Hilde Gerg und die Aussichten von Uschi Disl und Kati Wilhelm auf Edelmetall im Biathlon.

Darum, ob Sven Hannawald seinen Grand Slam bei der Vierschanzentournee im Skisprung bestätigen könnte. Und ob er im Eiskanal noch einmal aufs Podium rodelt - der Hacklschorsch.

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Ehrenbürger: Rosi Mittermaier und Christian Neureuther tragen sich ins Goldene Buch von Garmisch-Partenkirchen ein.

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Ihr letzter großer öffentlicher Auftritt: Rosi Mittermaier mit Ehemann Christian 2019 bei den Richard-Wagner-Festspielen.

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Eine Ausnahmekönnerin auf zwei Brettern: Rosi Mittermaier ist bei den Spielen in Innsbruck eine Klasse für sich.

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Ski-Ikonen unter sich: Rosi und Sohn Felix Neureuther.

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Die Gold-Rosi! Mittermaier fährt bei den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck zu gleich zwei Goldenen und einer Silbermedaille.

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Früh übt sich, wer einmal Olympiasiegerin werden will: Die kleine Rosi Mittermaier im Winter 1954/55.

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Heimatidylle: Rosi Mittermaier beim Sommer-Ski.

Es ging auch um die Details der Zusammenarbeit während der 16 Tage, die Abendzeitung hatte Neureuther als Exklusiv-Kolumnisten für Olympia engagiert. Um das Prozedere der täglichen Themenbesprechung und Textabstimmung. Die Zeit drängte allmählich, innere Unruhe machte sich breit, denn in der ausgedünnten Redaktion im dritten Stock der Sendlinger Straße stand am Nachmittag noch tagesaktuelle Produktion für die Ausgabe des nächsten Tages an, weshalb noch am Vorabend um nicht allzu späte Rückkehr vom Termin in Garmisch gebeten worden war.

Doch als es unter Angabe der besagten Gründe schließlich kurz nach 12 etwas zügig ans Verabschieden ging, gab es einen überzeugenden Einwand, der vehement gegen einen überstürzten Aufbruch nach München sprach: "Jetzt bleib hoid no do, Flori", sagte nämlich Christian Neureuthers Ehefrau, "i hob grad an frischn Apfelstrudel gmacht."

Und so wurde es - nach einem kurzen Telefonat mit der Ressortleitung, wonach das Gespräch und die Detailabstimmung sich wider Erwarten bedauerlicherweise lange hinziehen und eine zeitige Ankunft vor Redaktionsschluss unmöglich machen würden - ein sehr heiterer, zünftiger, arbeitsfreier und natürlich sehr sättigender Nachmittag, am Küchentisch von Rosi Mittermaier.

Nein, bei den weiteren Besuchen im Hause Mittermaier und Neureuther in den vergangenen gut zwei Jahrzehnten gab es nicht immer Apfelstrudel. Einmal auch Dampfnudeln. Oder Kuchen. Meist einen guten Kaffee. Vor allem aber immer viel Wärme und Herzlichkeit. Güte und Gastfreundschaft.

Dabei war es der Rosi ja immer am liebsten, wenn sie schön im Hintergrund bleiben konnte. Wenn man wegen eines Termins mit dem Christian anreiste - oder später auch mit Felix, ihrem Sohn. Aber nicht mit ihr.

Sie mochte das so gar nicht, über sich zu reden, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Wer sie für Interviews anfragte, ob für runde Geburtstage, ob für Jubiläen ihrer Sternstunden von Innsbruck, ob ganz allgemein für ihre Einschätzung des Skisports und der Welt an sich, bekam jedes Mal das Gefühl, es sei ihr unangenehm und insgesamt auch eher überflüssig.

A Interview? Mit mir?
A geh, des braucht's doch ned!

Sie war dabei nie barsch oder abweisend, nur jedes Mal frei von jeglicher Kokettiere über das Interesse an ihr verwundert. So wichtig sei sie nun ja auch nicht, nur weil sie eine zweimalige Olympiasiegerin sei und viele sie eine Ski-Legende nennen würden. A Interview? Mit mir? A geh, des braucht's doch ned. Das war so der Grundtenor, der dabei immer mitschwang, offen uneitel und ehrlich unprätentiös, und wenn sie sich dann doch Zeit nahm, wie draußen auf ihrer Terrasse im Juli 2010 kurz vor ihrem 60. Geburtstag, dann sprach sie viel lieber über ihren Garten als über ihre Erfolge, waren ihr die Geranien viel wichtiger als ihre Goldmedaillen.

In Stunden wie diesen, wenn sie dann nicht nur über Blumenbeete und Pflanzenkunde sprach, sondern auch über ihre Kindheit, ihre Eltern und das Leben auf der Almhütte, konnte man verstehen, warum sie sich nie so wichtig nahm, warum sie in ihrem Charakter demütig geblieben war, dankbar und bescheiden.

Ihre Eltern Heinrich und Rosina waren aus München ins Chiemgau ausgewandert. Auf der Winklmoos bewirtschafteten sie die Hochschulhütte "Hannover", in der sich das ganze Jahr über bis zu 60 Sportstudenten aus Niedersachsen aufhielten.
Die Freizeit musste sich verdient werden, und wenn die Rosi als Kind in Winter mal fragte, ob sie raus könne zum Skifahren, dann bekam sie die Antwort, wenn sie die zwei Eimer Kartoffeln in der Küche geschält habe, dann ja. Und nur dann . . .

Rosi Mittermaier sprach von "einer so glücklichen Kindheit, denn: Gejammert hat bei uns keiner. Mein Vater hat immer gesagt: Genießt jeden Tag, den ihr erleben dürft."

Das Leben, es war eben, wie es war. Auch schwere Schicksalsschläge nahm man als altbayerisch konditionierter Katholik mit dem fatalistischen Pragmatismus eines gläubigen Christen halt hin, ob den Tod von Rosis Zwillingsschwester Helene, die nur eine Stunde nach der Geburt starb, oder den des zweijährigen Sohns Heiner, der 1947 die Diphtherie nicht überlebt hatte. Der Herrgott gibt's. Der Herrgott nimmt's.

14 war die Rosi, als sie in den Junioren-Kader des DSV rückte. Ihr großes Vorbild war dabei Schwester Heidi, vierfache Deutsche Meisterin, Olympia-Starterin 1964. Mochte sie ihre Ausbildung später auch erfolgreich abschließen, war schnell klar, dass sie eher auf der Skipiste Karriere machen würde als im Hotelfach.

Die "New York Times" schrieb über die Rosi: "Miss Lächeln"

Mit 16 war sie dann erstmals Deutsche Meisterin, mit 18 gewann sie mit dem Slalom von Schruns das erste von zehn Weltcup-Rennen. Im Gesamt-Weltcup rangierte sie ab 1972 immer unter den besten Sieben, doch der ganz große Triumph bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen blieb aus. Bis zum 8. Februar 1976, Olympia in Innsbruck, als Rosi in der Abfahrt Gold holte.    Drei Tage später der Sieg im Slalom, zwei Tage danach Silber im Riesenslalom, ganze zwölf Hundertstel Rückstand auf die Kanadierin Kathy Kreiner verhinderten das Triple.

Sport-Deutschland versank aber auch so in solch kollektiver Euphorie wie später 1985, als Boris Becker Wimbledon eroberte. Die Nation hatte eine erste Sportheldin, einen Weltstar, die Gold-Rosi, oder wie die "New York Times" damals schrieb: "Miss Lächeln".
Dass Rosi Mittermaier - ganz anders als der ewig 17-Jährige aus Leimen - ihr Leben ganz gut in den Griff bekam, lag auch daran, dass sie im Moment des Triumphs mit 25 schon eine gestandene Persönlichkeit gewesen war, die dank der familiären Prägung und Erziehung einiges wusste über das Leben - und die sich daher schnell für den finalen Zielschwung in den alpinen Ruhestand entschied.

Zu groß, zu unheimlich, zu beängstigend war ihr der Rummel und der Trubel geworden. Zu Tausenden pilgerten die Menschen hoch auf die Winklmoos und belagerten die Hütte der Familie, die von den Eltern und den Geschwistern Heidi und der drei Jahre jüngeren Evi streng bewacht wurde. "Vor der Hütte ist kein Gras mehr gwachsen, weil so viel Leut da waren", sagte sie einmal, "und wenn ich fort hab wollen, dann musste ich hinten raus durchs Fenster und rein in den Wald."

Mehr als 40 000 Briefe habe sie in jener Zeit erhalten - und etliche Blumensträuße, die sie dann in den Krankenhäusern von Traunstein und Umgebung verteilte. Es war ihr alles zu viel, die grenzenlose Verehrung als Idol, als Heilige, weshalb sie nur wenige Wochen danach am Saisonende die Karriere beendete.

Natürlich blieb Rosi Mittermaier auch danach weiter präsent, als Werbe-Testimonial etwa für Schmuck und Haarspray. Im Fernsehen gab sie die legendären Tele-Skigymnastikkurse, später machte sie das Nordic Walking populär, mit ihrem Ehemann Christian, den sie mit 15 kennengelernt hatte, mit dem sie ihr Leben teilte - und ihre Liebe. Die große Liebe.

Die Rosi und der Christian, unzertrennbar, man konnte sich die eine ohne den anderen schlicht nicht vorstellen.

Vor allem aber kümmerte sie sich um ihre sozialen Projekte. Allen voran seit 1999 als Schirmherrin der Stiftung gegen Kinderrheuma. "Eine Mistkrankheit", wie sie einmal sagte, die Besuche bei den jungen Patienten in der Garmischer Kinderrheuma-Klinik berührten sie immer mächtig.
Dazu engagierte sie sich für die Initiative gegen Knochenschwund wie auch als Patin für das Projekt "Wir helfen Kindern", dort vor allem für blinde und sehbehinderte junge Menschen aus Nepal und Simbabwe.
Für Menschen da zu sein, sie so gut wie möglich zu unterstützen, darüber zu sprechen, das war der Rosi immer viel wichtiger als über ihre Erfolge als Skifahrerin.
Für sie waren die Olympiasiege eine nette Episode, eine schöne Erinnerung in ihrem Leben, aber nicht wirklich bedeutsam.

Und wenn man sich in ihrem Haus in Garmisch umschaute, sah man auch nirgends Wimpel und Trophäen, Medaillen und Pokale. Gold und Silber? Schall und Rauch.

Auch Sohn Felix erfuhr erst beim zufälligen Studium eines Bildbands über Olympische Winterspiele von den großen Erfolgen. "Mama, das bist ja du", rief er erstaunt aus, als er auf einem großen Foto von Innsbruck 1976 seine Mutter mit den drei Medaillen an den rot-weiß-roten Bändern um den Hals entdeckt hatte.

Das letzte persönliche Treffen hatten wir im Oktober 2018, wieder in ihrem Haus in Garmisch. Ein Doppel-Interview mit Christian und Rosi, es ging um ihr Glück als Eltern und Großeltern, um ihre Freude, mit den Enkelkindern im Garten herumzuspielen und darüber, dass der Oskar, der Sohn ihrer Tochter Ameli, schon einige Blumen beim Namen kannte.

"Zeit ist das
Allerwichtigste.
Mehr braucht's ned"

Das Interview zum 70. Geburtstag im Juli 2020 fand telefonisch statt, pandemiebedingt aus der Distanz. Rosi wirkte dynamisch, kräftig und hatte einiges zu sagen. Sie empörte sich über die radikalen Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker und nannte die Zeit auch einen guten Moment, um innezuhalten und nachzudenken: "Ich bin sicher, dass das Virus auch ein Weckruf ist, ein Alarmzeichen der Erde, um den Menschen zu sagen: Lasst uns auch die Chancen sehen, besinnt euch, so geht es nicht weiter. Ich habe noch nie die Vögel so schön zwitschern gehört, noch nie war der Himmel so klar, so wenig Flugzeuge am Himmel, noch nie war es so ruhig."

Sie lobte Greta Thunberg und ihren Kampf gegen den Klimawandel - und echauffierte sich über den immer rücksichtsloseren Umgang der Urlauber mit der Natur in den bayerischen Bergen, in die wir gerne noch einmal zusammen gegangen wären.

Im Spätwinter 2022 waren wir mit Christian zu dritt zu einer Schneeschuhtour zwischen Partenkirchen und Mittenwald verabredet, erst aus kurzfristigen Termingründen und später aus Schneemangel verschoben wir die Tour auf diesen Winter. Leider haben wir es nicht mehr geschafft.

Am Ende des Telefonats 2020 sagte Rosi Mittermaier: "Ich habe vor zehn Jahren zum Sechzigsten gesagt, dass ich froh bin um jeden Tag, an dem ich in der Früh aufwache. Und das gilt natürlich jetzt auch noch. Ich lasse mich überraschen. Ich freue mich sehr auf das, was jetzt noch kommt. Vor allem darauf, unsere Enkelkinder aufwachsen zu sehen. Und das hoffentlich noch ganz, ganz lang."

Es wurden nur noch zweieinhalb Jahre. Erst vor einigen Monaten, nach AZ-Informationen im Frühjahr 2022, soll Rosi Mittermaier die niederschmetternde Krebs-Diagnose erhalten haben. Über die Erkrankung ihrer Frau und Mama sprachen Christian und Felix nicht, als man Ende Oktober zuletzt miteinander telefonierte. "Alles bestens", "ois guad", meinten beide auf die Nachfrage, wie es daheim so ginge. Es war natürlich nicht alles gut, aber es war gut, dass die schwere Erkrankung der Rosi eine sehr persönliche und private Sache blieb.
Nichts, was raus sollte an die Öffentlichkeit. So wie um ihr Leben wollte sie eben auch um ihre Krankheit kein großes Aufheben machen.

Die Feiertage an Weihnachten verbrachte Rosi Mittermaier noch zu Hause. Am Mittwoch beim 1. Durchgang des heimischen Nachtslaloms am Partenkirchener Gudiberg stand Felix am ARD-Mikro, vor dem zweiten Lauf eilte er heim. Rosi sei an diesem Tag "im Kreise der Familie friedlich eingeschlafen", hieß es tags darauf in einer Erklärung von Christian, Felix und Ameli.

Was bleibt, ist die Erinnerung an die Rosi - eine herzensgute und tief empathische Persönlichkeit. Eine Frau mit den richtigen Werten für Respekt und Toleranz, Fürsorge und Nächstenliebe, die damals im Januar 2002 beim nachmittäglichen Apfelstrudel dem Reporter als Vater einer gerade eben einjährigen Tochter noch mit auf den Weg gab: "Gib ihr alle Zeit, die du hast, Flori. Weil Zeit ist das Allerwichtigste, was du ihr schenken kannst. Mehr braucht's ned."

Sätze einer wunderbaren, starken Frau, die nicht als Skifahrerin ein Vorbild war. Sondern als Mensch.

Danke, Rosi. Pfiat di.