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Das Experiment: ein Tag im Wirtshaus der Oma
11. März 2008, 10:08 Uhr aktualisiert am 11. März 2008, 10:08 Uhr
Liebe geht durch den Magen: Ich weiß schon, wo der Teig diesen Spruch gelernt hat. Bei meiner Oma Zenta Freudenstein. Die sagt ihn auch. Sie sagt ihn ziemlich oft. Und ich glaube, sie sagt ihn am liebsten zu mir. Okay, man könnte durchaus meinen, es liegt an ihrem Beruf. Schließlich ist sie Wirtin. Aber ich meine nicht. Ich weiß es besser.
Bitte schön, es soll jetzt kein falscher Eindruck entstehen. Ich bin enorm gerne bei meiner Oma. Wirklich. Sie ist ganz große Klasse. Wir sitzen dann an dem kleinen Holztisch im Nebenraum ihres Gasthauses, reden oder lesen Zeitung. Alles ist entspannt, alles ist okay und wir sind vergnügt. Aber dann! Unvorhersehbar kommt der Hammer: ZACK! Ganz unschuldig sitzt sie da, mit ihrem weißen Kittel samt karierter Schürze, und liest plötzlich laut irgendwas von einer Scheidung vor. Sie schaut mich über den Rand ihrer Lesebrille an, die sich an ihrer Nasenspitze festhält, und sagt DEN Satz: "Ja, Liebe geht eben durch den Magen, Andrea. Wenn du gut kochen kannst, kriegst du einen Mann und er bleibt bei dir." Danach ist wieder alles wie vorher. Nur ich bin irgendwie irritiert. Und je älter ich werde, desto häufiger sagt sie DEN Satz.
Ich, die Katzenlady
Zur Erklärung: Ich bin 22 und nicht verlobt, geschweige denn verheiratet. Nicht mal ansatzweise. Deswegen hat sie Angst, glaube ich. Angst, dass ich allein ende. Als verrückte Lady mit zwölf Katzen, aber eben ohne Mann. Schon hart. Bei jedem anderen, der so etwas zu mir sagen würde, wäre ich empört, würde protestieren, auf die Barrikaden gehen, mit meinem Palästinenser-Tuch wedeln und laut dagegen, rufen. Aber ich mag meine Oma enorm gerne. Sie ist mir mitunter der liebste Mensch auf der Welt. Außerdem hat sie oft recht. Und nicht zuletzt heißt es ja, auf ältere Leute soll man hören - wenigstens manchmal. Deswegen habe ich beschlossen, in unserem Gasthaus mitzukochen. Nur so zum Spaß eigentlich. Wirklich. Na ja, vielleicht auch, um zu lernen, wie man unter die Nasen hungriger Leute köstliche Gerichte zaubert. Also nicht, dass ich wirklich Angst hätte, keinen Mann zu finden. Natürlich, gebührlich und gar keine Frage, niemals nie nicht! Egal, ich bin jetzt auf alle Fälle im Gasthaus und habe ein kleines Problem.
Vegetarier und fleischliche Gelüste am Morgen
Vor mir liegen zwei Tabletts voller weißer faustgroßer runder Teigbatzen. Ich stehe etwas ratlos in der großen Küche des Gasthauses meiner Oma. Diese vielen weißen Kugeln vor mir verunsichern mich aus unerfindlichen Gründen. Außerdem ist es hier vormittags schon ziemlich warm und es riecht nach Schweinebraten. Ah, meine Oma trägt auch gerade zwei Teller mit Fleisch, Soße und Knödel vorbei. Ich bin übrigens Vegetarier. "Oft essen Gäste auch schon um diese Zeit Schnitzel", sagt sie vergnügt. Aha. Bei manchen geht die Liebe eben schon morgens gehörig durch den Magen.
Durch den Magen ins Ohr
Dann meine ich etwas zu hören. Ich gehe einen Schritt auf die Batzen zu. "Liebe geht durch den Magen", flüstern sie. Was? Neben mir brodelt wieder etwas in der Friteuse. Ich senke den Kopf, um besser zu lauschen. Tatsächlich! "Liebe geht durch den Magen." Dann lachen sie hysterisch mit hohen Stimmchen. Ich schrecke zurück und sehe meine Mama vor mir stehen. Sie runzelt die Stirn und scheint irritiert, weil ich beinahe mit einem Ohr in ihrem Meisterwerk stecke, das sie in eineinhalb Stunden gemacht hat. Ihre legendären Dampfnudeln sind sogar in München bekannt. Sie deutet mit einem Finger auf den redseligen Teig und sagt: "Buchteln und Dampfnudeln." Als ob sie deshalb nicht sprechen könnten! Erneut steigen Zweifel in mir auf, ob ich als Schreiberling nicht gerade am falschen Ort bin. Trotzdem lehne ich mich lässig an die Arbeitsfläche aus Edelstahl und lasse mir nichts von meiner Dampfnudel-Buchtel-Aversion anmerken. Jetzt packt meine Mutter die Teigkugeln geübt in runde Formen und dann in den Ofen. Ich bin erleichtert. Göttliche Stille. Sie erklärt mir wiederholt die Zutaten, damit es auch ja haften bleibt. "Der Teig muss aufgehen", erklärt sie mir, "dann wird die Temperatur aufgedreht." Aha. Ich gucke in den Ofen, die weißen Dinger gucken heraus. "Wer zuletzt lacht", murmle ich, ziele mit meinem Fotoapparat auf sie und drücke grinsend ab. Habe ich schon etwas gelernt? Dass ich schnell Angst vor Teig bekomme, vielleicht. Oje, ich sehe meine Ehe scheitern und ein Haus voller Katzen. Ruhig Blut Mädchen!
Gieriges Hechselmonstrum
Ich drehe mich zu meiner Mama um. "Was kommt jetzt?" Neben mir brät meine Oma gleichzeitig Kartoffeln, backt ein Schnitzel heraus und passt auf die Semmelknödel auf. Alles erledigt sie lächelnd. Vielleicht, weil ich kochen lerne. Ich hoffe es. "Jetzt machen wir Karottensalat", meine Mutter steht neben zwei riesigen roten Plastikschüsseln voller gelber Rüben. Sie stemmt die Hände in die Hüften, ihre Auge glänzen, als sie neben sich blickt. Ich verstehe. Neben ihr steht ein silbernes Monstrum von Maschine. Sie schaltet das Ding ein und es beginnt sofort ohrenbetäubend zu brummen. Meine Mama stopft eine Karotte nach der anderen in den Edelstahlschlund. Gierig schluckt die Maschine alles und spuckt kleine orange Streifen wieder aus. Ich bin unschlüssig, ob mir diese Sache besser gefällt als die Plaudertaschen von vorhin. Seufz.
Meine Felle schwimmen mit dem Kaffee davon
"Kaffee! Eine Tasse Kaffee", bellt unser Schenkkellner Walter in die Küche. Das kann ich! Kaffee, kein Problem für mich, bin ja Journalist. Begeistert springe ich zum Geschirrschrank, nehme Tasse, Tablett, Löffel, Zucker, Milch und gieße den Kaffee ein. Ich wirble herum und stelle lächelnd die Tasse auf das Tablett, daneben drapiere ich kunstvoll Löffel, Zucker samt Milch. Meine Oma geht gerade wieder mit zwei Tellern voller Liebe vorbei. Ich grinse stolz, deute auf mein Werk. Sie lächelt zurück und sagt freundlich: "Die Untertasse fehlt." Sch... Scheibenkleister. Nachdem ich das berichtigt habe, schaue ich wieder zu meiner Mama, die sich immer noch an der großen lauten Maschine austobt. "Wieviel Kilo Karotten sind das?", schreie ich. "Zehn", schreit sie zurück. "Minus der fünf Stück, dich ich schon gegessen habe", denke ich und hoffe, sie merkt das nicht.
Wir sollten reden
Meine Mutter hechselt alles was nach gelbe Rübe aussieht kurz und klein, der Teig geht auf, das Fett in der Pfanne spritzt, meine Oma brät, schneidet, paniert und frittiert. Ratlos stehe ich herum. Meine Tante, die eigentlich immer eine gute Idee hat, kommt vorbei und sagt: "Geh doch mal zum Stammtisch raus." Gute Idee! Alle Stammtischbrüder kennen mich schon von Kleinauf. Sie sind feine Kerle. Froh, der Hitze, der Friteuse, sprechenden Speisen und dem furchtbar lauten Hechselmonster entkommen zu sein, ratsche ich mit ihnen. Wir reden über heute, früher, sie, mich, meinen Opa. Es ist lustig. Ich gehe zurück in die Küche. Die Buchteln sind fertig und schon mit Puderzucker bestäubt. Auch die Dampfnudeln stehen dampfend auf der Arbeitsfläche. Ich lächle und erkenne plötzlich, was ich wirklich kann: Kommunizieren. Unterhalten. Zuhören. Und vielleicht reicht das ja auch, um nicht eine einsame verrückte Katzenlady zu werden.