Castingshows
Die Chance deines Lebens?
3. Juli 2013, 10:31 Uhr aktualisiert am 3. Juli 2013, 10:31 Uhr
"The Voice of Germany" hat Ronja Fischers Leben auf den Kopf gestellt. Nach wie vor vergeht kaum ein Tag, an dem die Studentin nicht an die Castingshow denkt. Die 19-jährige Mitterfelserin (Landkreis Straubing- Bogen) machte 2012 bei dem TV-Talentwettbewerb mit. Sie schaffte es, sich über mehrere Runden gegen ihre Konkurrenten durchzusetzen. Erst im "Battle" gegen einen erfahrenen Sänger schied sie aus. Klar, dass in diesem Moment die Enttäuschung riesengroß war. Dennoch: "Ich bereue nicht, dabei gewesen zu sein. Es hat sich gelohnt." Diese positive Erfahrung machen nicht alle Castingshow- Teilnehmer. Manche Kandidaten kämpfen sogar noch Jahre später mit Depressionen, weil sie in der Show öffentlich lächerlich gemacht worden sind. Das haben Wissenschaftler jetzt in einer Studie herausgefunden. Sie haben sich damit beschäftigt, was aus ehemaligen Kandidaten geworden ist. Die Ergebnisse sind ernüchternd.
Ronja Fischer hat also das geschafft, was vielen Casting-Kandidaten nicht gelingt: Sie kann voller Stolz und vor allem mit einem guten Gefühl auf ihre Teilnahme zurückblicken. "Die Show hat mein Leben verändert, vor allem in musikalischer Hinsicht", sagt Ronja Fischer, die in Regensburg Grundschullehramt studiert und am Veit-Höser-Gymnasium Bogen Abitur gemacht hat. Dass sie Talent hat, wurde auch der Jury schnell klar. Bei den Blind Auditions - das sind die Castings, in denen die Juroren mit dem Rücken zum Kandidaten sitzen und nur die Stimme hören - hat sich Sänger Rea Garvey die sympathische Studentin sofort in sein Team geholt. "Als Rea gebuzzert hat, war das eine große Erleichterung für mich. Es fühlt sich grausam an, gegen fünf umgedrehte Stühle zu singen", erinnert sich Ronja an ihren Auftritt. Sie beurteilt die Zusammenarbeit mit den Coaches - neben Rea bekam sie sogar Tipps von Nelly Furtado - als absolut professionell und hilfreich. "Ich bin viel selbstbewusster und offener geworden, ich traue mir jetzt viel mehr zu." Auch von der Jury sei sie sehr fair behandelt worden.
Dass Ronja Fischer damit eher eine Ausnahme ist, ergibt die Auswertung der Befragung von 59 ehemaligen Kandidaten im Rahmen der Studie "Sprungbrett oder Krise? Das Erlebnis Castingshow- Teilnahme". Gerade die Juroren und Coaches kommen dabei oft nicht gut weg. Zum Beispiel macht eine junge Teilnehmerin ihrem Ärger über Detlef D! Soost, "Popstars"-Juror, so Luft: "Es war ein Erlebnis, das ich nie wieder erleben möchte. Es war deprimierend, traurig. Ich bin 16 Jahre alt und bin noch nicht imstande, solche Sachen auszuhalten. Ich fand es fies, wie du mich behandelt hast. Ich fand es link, was für Lügen du vor der Kamera an mich gerichtet hast und dass du mich zum Weinen gebracht hast." An dieser Aussage merkt man, wie tief der Schmerz bei dieser Kandidatin sitzt.
Auf und Ab der Gefühle
Auch Ronja Fischer bestätigt, dass eine Teilnahme an einer Castingshow sehr emotional ist. "Mal lacht man, mal weint man, das ist ein Auf und Ab der Gefühle", denkt sie zurück und betont: "Wenn man bei so einer Show mitmacht, braucht man ein ziemlich dickes Fell." Sie ist deshalb der Meinung, dass man all den Druck und Trubel umso leichter verkraftet, je älter man ist. Das sagt auch Wissenschaftlerin Maya Götz, Mitautorin der Studie: "Für Jugendliche ist es oft besonders schwer, die Teilnahme zu verarbeiten. Die Älteren, die zur Zeit des Castings schon Mitte 20 waren, sind schon selbstsicherer und können Kritik besser ausblenden."
Deshalb ist die Expertin auch der Meinung, dass in jeder Show für psychologische Betreuung gesorgt werden muss - was beispielsweise bei "The Voice of Germany" schon der Fall ist: "Man muss solch ein Erlebnis einfach verarbeiten. Das ist etwas, das die Fernsehsender einsehen müssten. Schließlich verdienen sie an den Formaten und den Menschen, die dabei mitmachen, Geld, also sollten sie auch Verantwortung übernehmen."
"Die haben dich in der Hand"
Bereits beim Casting sichern sich die Verantwortlichen der Shows alle Rechte an sämtlichen Inhalten zu: "Die haben dich in der Hand. Egal, was du tust, was du machst, sie dürfen alles ausstrahlen", macht Ronja Fischer deutlich. Als Kandidat wird man stundenlang interviewt, die Kameras sind immer dabei. Da könne es schon passieren, dass man mal etwas Unüberlegtes sage. "Und genau das wollen die für die Show natürlich", weiß Ronja Fischer aus eigener Erfahrung. Zum Beispiel habe sie einmal den Satz "Ich bin halt ein Landei" nebenbei fallen lassen - ein gefundenes Fressen für die Macher. "Man muss sich bewusst sein, dass man Stoff ist, den man verbraten kann." Genau darin liegt natürlich der Reiz auch für die Zuschauer: Untersuchungen ergaben, dass Kinder und Jugendliche deshalb gerne Castingshows sehen, weil sie zum einen mit ihren Favoriten mitfiebern können und sich über deren Erfolge oder Misserfolge auf dem Schulhof austauschen können, zum anderen ist auch das "Ablästern" über lächerlich gemachte Kandidaten ein Motiv, die Show zu verfolgen.
Letzteres blieb Ronja Fischer glücklicherweise erspart: "Es hat sich nie jemand lustig über mich gemacht. Wenn das passiert wäre, wäre ich sofort aus der Show ausgestiegen."
Abgekartetes Spiel?
Ihr war auch von Anfang an bewusst, wie klein die Chance ist, dass sie wirklich als Gewinnerin aus der Show herausgeht. "Trotzdem habe ich natürlich gehofft weiterzukommen", gesteht sie. Umso größer war die Enttäuschung, als sie im "Battle" ausgeschieden ist. "Ich hatte schon den Eindruck, dass da vieles bereits im Vorfeld ausgemacht war." Dennoch hat sie die Show bis zum Schluss verfolgt und Daumen gedrückt - die anderen Kandidaten sind ihr ans Herz gewachsen: "Wir waren wochenlang miteinander in Berlin, es sind richtige Freundschaften entstanden." Das Kapitel Castingshow ist für sie aber ein für alle mal abgeschlossen: "Einmal mitgemacht zu haben, reicht mir." Sie konzentriert sich jetzt privat auf ihre musikalische Laufbahn, zum Beispiel hat sie Auftritte mit der Band "Hacklberry Finn". Außer "The Voice of Germany" wird sie auch keine weiteren Castingsendungen im Fernsehen verfolgen, ihr Urteil fällt vernichtend aus: "Die kann man in die Tonne hauen. Vor allem ,Deutschland sucht den Superstar' ist ganz schlimm."
Große Enttäuschung
Dass eine Castingshow- Teilnahme für die meisten in einer großen Enttäuschung endet, ist offensichtlich. Da macht auch Topmodel Heidi Klum den Kandidatinnen ihrer Show nichts vor: "Nur eine kann Germany's next Topmodel werden." Wie ein Mantra wiederholt sie diesen Satz. Und damit bringt sie das Problem selbst genau auf den Punkt: Nur einer kann gewinnen, alle anderen sind die großen Verlierer.