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Freischreiben-Autoren zum Thema Schönheit


Rebecca Fisch fragt sich, was Aussagen über das Äußere bringen sollen.

Rebecca Fisch fragt sich, was Aussagen über das Äußere bringen sollen.

Von Rebecca Fisch, Carina Ziegler

Wann ist ein Mensch schön? Wie machen wir ihm das klar? Und ab wann geht der Beauty-Wahn zu weit? Drei Autorinnen suchen Antworten.

Ich wollte dir nur mal eben sagen...

Rebecca Fisch (19) setzt sich für mehr Rückenstärken statt Schminkeschmeicheln ein

Mach heute jemandem ein Kompliment - einfach so!" Kreative Verpackungen sind ja schön und gut, aber warum will mir das Etikett einer Wasserflasche sagen, was ich zu tun habe? Und was haben Komplimente mit Wasser zu tun? "Hey, die Flasche ist ja fancy, solltest du öfter tragen!" Ob das so gut ankommt, wage ich zu bezweifeln. Aber immerhin ist es kreativer als so manch andere Komplimente. "Gut siehst du heute aus!" "Du hast so schöne Haare!" Wow, danke! Vielleicht ist es ja wirklich nett gemeint, aber was soll jemand mit solchen Aussagen anfangen, die sich um das Äußere drehen? Etwas, wofür niemand etwas kann, und wovon ich mir außerdem wünsche, dass es viel weniger Bedeutung hätte. Und überhaupt: Was sagt es mir, wenn mich jemand als schön bezeichnet? Doch nur, dass ich irgendeinem Ideal entspreche oder nahe komme; dass ein gesellschaftsnormativer oder subjektiver Anspruch von "Schönheit" auf mich zutrifft, oder nicht, falls ich keine Komplimente bekomme. Sie sagen also mehr über die sprechende Person aus als über mich. Dabei gäbe es so viele Möglichkeiten, den Mitmenschen wertvolle Komplimente zu geben. Positives Feedback stärkt den Rücken, vor allem dann, wenn das Selbstvertrauen gerade etwas leidet. Warum also nicht öfter mal rückmelden, wenn jemand etwas so richtig gut gemacht hat? Warum teilen wir statt Beauty-Comments nicht lieber, dass wir beeindruckt sind von mutigem Verhalten, kreativen Ideen, hilfreichen Ratschlägen, guten Witzen oder oder oder? Das ist viel wert und hilft gleichzeitig, von der oberflächlichen Bewertung unserer Mitmenschen wegzukommen. Also mach heute jemandem ein Kompliment - aber ein schönes!

Carina Ziegler: Punkt für die Sommersprossen?

Punkt für die Sommersprossen?

Carina Ziegler (24) rechnet mit ihrem besonderen Erkennungsmerkmal ab

"Ich bin ja so verschossen in deine Sommersprossen…" - das sang mir meine Mama schon als kleines Mädchen vor. Damals fand ich das total cool. Von da an hat es aber gar nicht mehr so lang gedauert, bis ich gemerkt habe: Es gibt gar keinen Grund, in meine Sommersprossen verschossen zu sein… Weil so schön sind die eigentlich gar nicht. Schon in den Freundebüchern, in die man sich gegenseitig in der Grundschule schreibt, stand bei mir als besonderes Erkennungsmerkmal: viele Sommersprossen! Klar, so ein Grundschulmädchen mit Sommersprossen ist süß. Später fühlte ich mich, als würde ich wie ein gepunktetes dickes Schweinchen aussehen, wenn ich nach einer Stunde in der Sonne in den Spiegel schaute.

Sommertrend 2018

Deswegen wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll, als ich kürzlich in der Cosmopolitan vom neuen Sommertrend 2018 las: "Sommersprossen verleihen unserem Gesicht einen Hauch von schwedischer Schönheit, Sommerferienfeeling und Waldfee. Wer will das nicht? Zum Glück gibt's für alle, die nicht von Natur mit den süßen Sprenkeln beschenkt wurden, eine perfekte Methode, sie zu schminken. Die klassischen Sommersprossen bekommen übrigens gerade ein Update: Glitzer!" Wow. Es gibt also diesen Sommer echt viele Leute, die sich die mir verhassten Punkte freiwillig ins Gesicht malen. Und Doppel-Wow: Sie malen noch extra Glitzer dazu!

Locken statt glatte Haare

Erstmal war ich ein bisschen baff von diesem Trend. Auf der anderen Seite habe auch ich schon oft festgestellt, dass man immer das haben will und schöner findet, was man selber nicht hat: Locken statt glatte Haare, Kurven anstatt zu dünn zu sein, Sommersprossen haben oder eben nicht… Mittlerweile habe ich den jährlichen Sommersprossen-Einsatz-Schreck gut verkraftet und trage die Punkte jetzt selbstbewusst auf meinem Gesicht. Denn abwaschen kann ich sie eh nicht. Und in Zweifelsfällen summe ich in meinem Kopf vor mir her: "…ich bin ja so verschossen in meine Sommersprossen…"

Franziska Schoßer: Frances Cannons schönste Seiten

Frances Cannons schönste Seiten

Franziska Schoßer (28) über eine Frau, die gegen den Beauty-Wahn kämpft

Vom Bildschirm aus blickt mich eine rundliche Frau an. Sie hat kleine, herunterhängende Brüste und üppige Schambehaarung. Was wohl nicht jeder als Schönheitsideal beschreiben würde, ist für Frances Cannon mehr als das. Die Künstlerin, die sich besonders bei Instagram einer großen Anhängerschaft erfreut, zeichnet fast ausschließlich diese eine wohlgeformte Frau. Auf den Bildern ist neben viel Frau auch immer eines zu sehen: viele Emotionen, viel Ehrlichkeit, viel Frances.
Im nächsten Instagram-Posting sieht man die Australierin nackt von der Seite. Kein Filter, kein kunstvoll drapiertes Stück Stoff, nur viel nackte Haut, Tattoos und wieder sie: Frances.
Ein paar Tage später blickt mich ihr gerötetes Gesicht aus dem Handy an. Die Augen verquollen und noch eine Träne im Augenwinkel. Auch das gehört bei ihr eben dazu: Enttäuschung, Traurigkeit, Unsicherheit. Ich sehe förmlich die Hate-Postings, die Aufschreie von Verfechtern der "allgemeinen Ästhetik” und der emotionalen Selbstgeißelung vor mir und freue mich, dass Frances anscheinend eine andere Gemeinschaft an Followern hat.
Was sie da macht, könnte man sich fragen. Ist das eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper oder nur selbstverliebte Vermarktung? Letzteres wohl kaum. Dafür sind ihre Kommentare zu selbstkritisch. Dafür erscheint sie selbst zu verletzlich. Ist das also schön? Ist das Kunst? Und muss Kunst überhaupt schön sein? In jedem Fall gelingt es Frances Cannon, die eigenen Gedanken kreisen zu lassen. Darüber was für uns selbst ein schöner Körper ist, warum wir Schönheit genau so definieren und was das mit uns selbst macht. Was, wenn sich ein Mensch in diesem starren Schönheitskonzept, das sich um 90-60-90, Germany's Next Topmodel und Filter dreht, nicht wiederfindet? Ehrlich wirken da Cannons kleine Kunstwerke. Für mich ist sie und ihre Kunst in all ihren Facetten wunderbar, weil sie ungeschminkt und emotional ist und Frances den Körper als das feiert, was er ist: ein Kunstwerk.

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Carina Ziegler trägt ihre Sommersprossen selbstbewusst. Das war nicht immer so.

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Franziska Schoßer ist Fan von Künstlerin Frances Cannon.