[Frei]schreiben!
Was Hänschen nicht lernt
1. Dezember 2008, 1:02 Uhr aktualisiert am 1. Dezember 2008, 1:02 Uhr
"Erstesn Kapitel geschafft hofe es gefällt euch. WEn ihr noch irgend ein rechtschreibe fehlern findet sagt mir bescheit."
Nein, das ist kein Scherz. Es ist ein Kommentar einer Autorin zu ihrer eigenen Fanfiction, also einer erfundenen Geschichte. Die Geschichte ist nicht mehr online. Trotzdem: Obiges Zitatwäre vielleicht halb so schlimm, wenn die Geschichte dieser Autorin nicht voller Rechtschreibfehler gewesen wäre.
Ausgelassene oder hinzugefügte Buchstaben, Alltagssprache, falsch verwendete Redewendungen, keine Groß- und Kleinschreibung, keine Ahnung, wann man das/dass benutzt. Beispiele? Gibt es genügend: Eine Autorin "hebte" etwas auf. Man "birgt" die Leiche nicht mehr, sondern "borgt" sie. Haare sind plötzlich nicht mehr Haare, sondern "Harre". Dafür wird nicht mehr "verharrt", sondern "verhaart".
Ich könnte diese Liste noch endlos weiterführen. Ein Einzelfall? Nein. Ich selbst veröffentliche auf solchen Seiten und das hier ist keine Spaßgeschichte. Keine, die von der Autorin einfach ins Netz gestellt wurde, um andere damit zu schockieren. Das ist es, was dabei herauskommt, wenn unsere Kinder heutzutage kein richtiges Deutsch mehr lernen.
Wer sich auf solchen Fanfiction Homepages mal umsieht, findet sicher nach kurzer Zeit die erste Geschichte, die all das beinhaltet, was mir die Nackenhaare zu Berge stehen lässt. Niemand schert sich mehr um die deutsche Sprache, Grammatik oder um richtig verwendete Satzzeichen. Wenn eine wörtliche Rede ansteht, weiß man hinterher nicht, wer was gesagt hat - die Autoren halten es für überflüssig, uns darüber aufzuklären.
Keine Liebe zum Schreiben
Vielleicht wäre es nicht so schlimm, wenn die Geschichten nicht so schlecht wären, die Story einen Zusammenhang hätte oder wenn ein wenig Sorgfalt dahinter stecken würde - aber auch das ist nicht der Fall. Die Jugend von heute hat keine Liebe mehr zu dem entwickelt, was aus ihren Fingern durch die Tastatur fließt.
Ewig eintönige Geschichten, immer dieselbe Story, blutige Beschreibungen von Straftaten und andere üble Themen kommen da auf den Tisch, ohne auch nur eine Sekunde über den Satzbau nachzudenken oder gar die Wirkung des Geschriebenen auf den Leser zu überdenken.
Man könnte meinen, unsere Kinder wachsen heute inmitten von Messern und Gewalt auf. Aber vielleicht wäre auch das nicht so schlimm. Vielleicht würde ich mich nicht so über einen Mangel an Sorgfalt, Bemühen und Verständnis aufregen, wenn es nicht Leute gäbe, die diese Stories dann auch noch positiv bewerten: "Das ist so cuuhl, schreib schnell weiter!", ist der Standardkommentar.
Mir blutet die Seele
In solchen Situationen fragt man sich nicht mehr, warum unsere Jugend sich nicht richtig ausdrücken kann. Weder auf dem Papier noch im richtigen Leben. Wenn solch schlechte Stories zum Standard werden, dann werden immer mehr dieser schlechten Geschichten auftauchen. Während uns Älteren dabei eine Gänsehaut über den Rücken läuft und wir uns fragen, wie jemand so ungestraft die deutsche Sprache misshandeln kann, empfinden die Jüngeren unter uns das alles anscheinend als normal!
Während mir die Seele blutet, wenn ich sehe, wie schäbig und achtlos jemand mit einer Idee umgeht, mit der Rechtschreibung, mit dem Hobby, das mir am Herzen liegt und an dem meine Seele hängt, dann tut das richtig weh. Das wäre so, als würde man in der Schule einen Schulaufsatz dieses Kalibers schreiben und dann eine Eins dafür bekommen.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr
Was ist nur mit unserer deutschen Sprache geschehen? Wieso gibt es Jugendliche, die sich trauen, etwas Derartiges zu veröffentlichen? Ich fürchte, dass es schon früh anfängt. Unsere Kleinsten bekommen keine Geschichten mehr vorgelesen, die neue deutsche Rechtschreibung ist schwierig, die Kids sitzen vor dem Fernseher und vor dem PC und lernen nicht mehr, ihre eigene Fantasie zu benutzen.
Früher war es Standard, Kinder in der Grundschule aus einer Bildergeschichte eine echte Geschichte schreiben zu lassen. Seitenlang kamen da Ideen. Heute ist das anders - unsere Kinder sind so arm an Fantasie, dass sie von Bildern nichts mehr ableiten können. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. 15- bis 18-jährige Autoren, die solche Geschichten posten, werden in ihrem Leben wohl nie mehr lernen, einen Spannungsbogen aufzubauen und die Rechtschreibung richtig zu benutzen. Liebe zur Story? Ausdauer beim Schreiben? Dem Leser etwas bieten wollen? Das wird es nicht mehr geben und es fängt gerade erst an, schlimm zu werden.
Wenn man selbst keine Bücher liest, wie soll man dann etwas Anständiges zusammenbringen? Und selbst wenn unsere Kinder lesen - was genau lesen sie denn? Ich kenne viele moderne Bücher, die sich einen modernen Stil angeeignet haben, der kaum auszuhalten ist. Fünf-Wort-Sätze, dann ein Punkt. Soll das für die Zukunft erstrebenswert sein? Werden bald alle Bücher so gefühlsarm geschrieben sein? Wann wird es damit anfangen, dass unsere Kinder nicht mehr fähig sind, Goethe zu lesen, weil ihre Aufmerksamkeitsspanne nicht über fünf Wörter hinausreicht?
"Babbling"
Doch manche haben diesem Chaos den Kampf angesagt. Im mittlerweile überall bekannten Livejournal, eine Art Internettagebuch, finden sich Communities wie "Babbling" oder "Loeschdich", die die schlimmsten Rechtschreibfehler, die gröbsten "Verschreiber" und die lustigsten, weil so schlechten Stories, aufgreifen, in Verrissen veräppeln und denen, denen die deutsche Sprache noch lieb und teuer ist, einen Grund zum Lachen geben, selbst wenn es noch so traurig ist.
Dann amüsiert man sich über den chaotischen Sprachdschungel, anstatt darüber den Kopf zu schütteln. Aber wir wissen trotzdem alle: So kann es nicht weitergehen. Denn dann wird in vielen Jahren niemand mehr einen geraden Satz zustande bringen. Und das Schlimmste wird sein: Wir werden das toll finden, weil wir ja nichts Anderes mehr gewöhnt sind.