Kultur
Mehr Leidenschaft wagen
17. Februar 2023, 17:27 Uhr aktualisiert am 19. Februar 2023, 11:21 Uhr
Die Voraussetzungen sind die allerbesten. Der Tenor hat Stilgefühl, die Mezzosopranistin singt temperamentvoll und eindringlich, der Dirigent verwechselt Jules Massenet nicht mit Mascagni. Auch der intime Raum des Gärtnerplatztheaters müsste einem Kammerspiel frei nach Goethe und der im Vergleich zu italienischer Oper intimeren Musik zuträglich sein.
Trotzdem bleibt die vierte Münchner "Werther"-Neuproduktion seit der Erstaufführung mit Placido Domingo und Brigitte Fassbaender vor 46 Jahren im Nationaltheaer bis zur Pause unterkühlt - wenigstens am Premierenabend. Das liegt an Lucian Krasznec. Man hört seiner harten Arbeit an einer sensiblen Stilistik für die Musik Massenets zwar bewundernd zu. Aber weil das alles ein wenig manieriert und kunstvoll wirkt, berührt es nur wenig.
Krasznec macht aus dem unglücklichen Liebhaber einen enthusiastischen Neurotiker, der gleich beim ersten Anblick von Charlottes Haus anbetend auf die Knie fällt. Im letzten Bild wird deutlich, dass der Regisseur Werther letztendlich für einen Stalker hält. Krasznecs gut kontrollierter, leicht metallischer Tenor passt zu französischer Musik. Der Sänger nimmt die Stimme oft bis zum Hauch zurück und bemüht sich um poetische Nuancen, ein intensiver Darsteller ist er auch. Aber es würde nicht schaden, wenn er seiner Stimme auch ein paar Tropfen Tränen beimischen würde.
Da trifft sich der Protagonist leider mit dem Dirigenten. Anthony Bramall und das Orchester des Gärtnerplatztheaters brauchten in der Premiere lange, um sich wirklich freizuspielen. Vieles war zu laut. Statt den Tenor in seinem Stilgefühl zu unterstützen, ließ der Dirigent das Orchester dominieren. Und lange wirkte die Musik auch eher kleinteilig buchstabiert als wirklich flüssig interpretiert.
Sophie Rennerts Charlotte ist schon jetzt musikalisch erstklassig. Ihr Mezzo hat schöne Farben und eine ganz leichte Kühle passt zur Figur. Die Verzweiflung im dritten Akt gestaltet sie ohne falsche Theatralik. Diese Rolle können auch größere und teurere Häuser kaum besser besetzen. Gleiches gilt für die kleineren Partien. Ilia Staples glockenhelle Sophie ist perfekt, Daniel Gutmanns kraftvoller, grundehrlich liebender und nur einmal stinksauerer Albert. Es bleibt erstaunlich, zu welcher Ensembleleistung das Gärtnerplatztheater bei dieser anspruchsvollen Oper fähig ist.
Herbert Föttingers Inszenierung verlegt die Geschichte in die Entstehungszeit der Oper um 1900. Die gesellschaftlichen Zwänge der Vorlage bleiben glaubhaft, die Ehekrise wird zugeschärft. Vor allem im Salon des dritten Akts wähnt man sich in Henrik Ibsens "Nora", die ebenfalls in der Weihnachtszeit spielt. Leider schmeckt das ein wenig nach Vereinfachung: Aus der vor allem aus inneren Gründen, wegen Werthers Liebes-Absolutismus schwer als glücklich zu denkenden Beziehung wird das gute alte Ehedrama, in dem sich Pflicht und leidenschaftliche Neigung widersprechen.
Kürzungen in den Genreszenen verdichten das Drama auf Werther und Charlotte. Über Details lässt sich streiten: Sophie ist als aufdringliche Nervensäge etwas zu vordergründig keine erotische Alternative für die emanzipierte Charlotte im Hosenanzug. Sie verführt Werther im ersten Akt kokett durch das Zeigen von Haut. Im dritten werfen beide dann ihre Kleider ziemlich unvorsichtig von sich. Dass dann das anfangs in hohen Ehren gehaltene Bild von Charlottes Mutter am Boden herumsteht, ist etwas zu viel der Symbolik: Der ihr geleistete Eid, Albert zu heiraten, steht zwischen den Liebenden. Auch sonst hat es Föttinger mit Bildern: Für seine Naturbetrachtung nimmt Werther im ersten Akt eine Landschaft von der Wand - allerdings fällt es ihm schwer, sie wieder loszuwerden. Walter Vogelweiders Innenräume für die eigentlich draußen spielenden ersten Akte wirken etwas verstellt, und es ist seltsam, dass im Bahnhofsbuffet eine Kirchenorgel erklingt.
Das bleiben letztendlich Kleinigkeiten gegenüber dem Ganzen. Föttinger ist eine saubere, sachdienliche Inszenierung gelungen. Krasznec dürfte bald mehr aus sich herausgehen und seinem Schmelz vertrauen: Er hat das Zeug zu einem Werther, der Elegie und Leidenschaft versöhnt. Und auch das Orchester wird sich noch mehr auf Massenets feingliedrige, melodiöse und kluge Musik einlassen.
Alle Rollen sind doppelt besetzt. Die Grundlagen für eine positive Entwicklung im Repertoire hat diese Premiere gelegt. Jetzt müsste nur noch das Publikum mehr Lust darauf haben, eine der schönsten und melodischsten Opern aus Frankreich lieben zu lernen. Die heftig beklatschte Premiere war jedenfalls nicht ausverkauft.
Robert Braunmüller
In der Premiere B am Sonntag singen Alexandros Tsilogiannis und Anna-Katharina Tonauer. Weitere Vorstellungen am 24. Februar, 1., 5., 26. und 29. März. Karten: % 2185 1960 und online