Kultur
Wie das Puzzle zusammenwächst
15. Februar 2023, 17:35 Uhr aktualisiert am 15. Februar 2023, 17:35 Uhr
Erst 85 Jahre nach der Uraufführung in Wien wurde Jules Massenets "Werther" zum ersten Mal in München gespielt: mit Plácido Domingo und Brigitte Fassbaender 1977 im Nationaltheater. Nun kommt es zur bereits vierten Neuproduktion dieser Oper in München - diesmal am Gärtnerplatztheater. Chefdirigent Anthony Bramall hat die musikalische Leitung, Herbert Föttinger inszeniert. Alle Hauptrollen sind doppelt besetzt, am Premierenabend singt Lucian Krasznec den unglücklichen Liebhaber aus Goethes Briefroman.
AZ: Herr Krasznec, wie lange haben Sie gebraucht, um Werther zu werden?
LUCIAN KRASZNEC: Ich habe im Sommer begonnen, mir Aufnahmen anzuhören, um herauszufinden, wo die Schwierigkeiten dieser Rolle liegen und welche Stilistik angemessen ist. Ab dem Beginn der Spielzeit bin ich den Werther Stück für Stück mit einem Pianisten durchgegangen, um die Aussprache des Französischen und die Töne exakt zu erlernen. Aus diesem Puzzle wächst langsam das Stück zusammen. Dann kommt der Input durch den Regisseur: Wie sind die Beziehungen zu den anderen Figuren? Was fühlt Werther? So nähert man sich einer Person, die man vorher nicht kannte.
Wer ist Werther für Sie?
Wie alle Tenöre ist er primär ein Liebhaber. Werther hat sich in das Ideal einer Frau verliebt. Das Problem ist: Charlotte hat ihrer sterbenden Mutter geschworen, Albert zu heiraten. Werther akzeptiert das anfangs, aber letztendlich erschießt er sich, weil er die Situation nicht erträgt.
Hätte es eine andere Lösung geben können?
Ich finde schon, aber es muss darum gehen, die Geschichte trotzdem glaubhaft zu erzählen. Man weiß nicht, was Werther vorher erlebt hat und dazu führte, dass er düster und bedrückt wirkt. In mancher Hinsicht erinnert er in seiner absoluten Fixiertheit auf Charlotte auch an einen Stalker.
Haben Sie Goethes Roman gelesen?
Ausschnittsweise, um ehrlich zu sein. Goethes Briefroman erzählt die Geschichte ausschließlich aus Werthers Perspektive. Was die anderen Figuren tatsächlich fühlen, erfahren wir nicht. Massenet und seine Autoren Édouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann weichen von Goethe in entscheidenden Punkten ab: Im dritten Akt gesteht Werther seine Liebe offen, und Charlotte erwidert seine Gefühle auch.
Wegen Charlottes Schwur kann man sich die Oper schlecht in die Gegenwart versetzt vorstellen. Wie hat sich der Regisseur hier entschieden?
Ich denke, dass ein ähnlicher Zwiespalt zwischen Pflicht und Neigung auch heute entstehen kann, wenn man einem geliebten Menschen etwas versprochen hat.
Bei französischen Opern stellt sich immer die Frage, wie italienisch es klingen darf. Wer ist für Sie ein großer Interpret der Rolle?
Ich lege mich da ungern fest. Jeder Tenor hat seine Vorzüge. Alfredo Kraus schafft es mit bewundernswerter Sicherheit, auch bei langsamen Tempi musikalische Phrasen zu knüpfen. Andererseits nimmt man die Musik heute schneller, obwohl Jonas Kaufmann in Paris ähnlich langsame Tempi riskiert hat. Auch das ist spannend, aber zwei Stunden Langsamkeit kann sich ziehen. Auch Nicolai Gedda war ein hervorragender, nuancierter Werther. Weniger überzeugen mich Tenöre, die dauernd Vollgas geben, weil zu der Rolle viel Leises gehört. Es wird erst spannend, wenn man mit Schattierungen spielt.
Wie würden Sie Ihre Stimme beschreiben?
Ich bin eher der Gedda-Typ. Ich versuche eine Balance zu finden und mit meinen Mitteln von den Großen zu lernen.
Wie sind Sie Sänger geworden?
Auf einem kurvigen Weg. Ich habe noch in Rumänien mit meiner Oma in der Kirche das Vaterunser gesungen. Mit 10 Jahren kam ich nach Deutschland, wo ich im Kinderchor gesungen habe. Später habe ich Gesangsunterricht genommen. Nach einer Ausbildung als Mechatroniker und dem Zivildienst wollte ich doch noch etwas ausprobieren, was mir Spaß macht. Daher ging ich auf die Musikfachschule nach Kronach, um mich für die Aufnahmeprüfung zur Musikhochschule nach Würzburg fit zu machen. Die habe ich bestanden, obwohl es in meiner Familie keine Vorprägung in Richtung Oper gegeben hat. Aber die Zeit im Extrachor des Coburger Theaters hat auf mich magnetisch gewirkt.
Sprechen Sie französisch?
Nur ein paar Worte. Aber bei jedem dritten oder vierten Wort erkennt man über das Rumänische die Bedeutung, auch wenn sich die Sprachen im Klang kaum ähneln. Daher war es um einiges leichter, die Rolle zu lernen. Aber ich gebe zu: Italienisch fällt mir leichter.
Sie haben bei der Sopranistin Cheryl Studer studiert. Sie hatte eine sensationelle, aber kurze Karriere. Spricht sie darüber im Unterricht?
Sie fand es relativ langweilig, die gleiche Rolle immer und immer wieder zu singen. Sie wollte mehr Abwechslung in ihrem Fach, was bei manchen Stimmen funktioniert und bei anderen strittig ist.
Macht Ihnen die Wiederholung im Repertoire Spaß?
Ich finde es schön, wenn Rollen immer wieder zurückkehren und ich mich mit ihnen weiterentwickle. Manches, was anfangs schwer wirkte, wird leicht. Bei anderem muss man dagegen aufpassen. Außerdem stelle ich fest, dass meine Rollen hier am Haus im Lauf der Zeit immer komplexer werden und ich mich mit Lebenswegen und Themen beschäftigen muss, die ich bisher weniger beachtet habe. Das macht es schwierig und spannend zu gleich.
Premiere am 16. Februar, 19.30 Uhr im Gärtnerplatztheater, weitere Vorstellungen am 18. und 24. Februar, 1., 5. und 26. März. Karten online und unter Telefon 21851960