Kultur
Schwimmfest vor antiker Kulisse
30. Januar 2023, 16:54 Uhr aktualisiert am 31. Januar 2023, 10:40 Uhr
Auf eine echte Sensation muss das Publikum bis zum vierten Akt warten. Und in die Hölle hinabsteigen. Denn dort erscheint Julie Robard-Gendre auf der Bühne, schwarz gewandet, wie es sich für Perséphone, die Göttin der Unterwelt gehört, eine schlanke Gestalt mit den hochexpressiven Gesichtszügen einer Stummfilmschauspielerin.
Mit ihrem mächtigen, in der enormen Tiefe geradezu androgynen Mezzosopran weist sie die zwei irdischen Bittstellerinnen zunächst ab, lässt sich dann mit Rosen erweichen und greift am Ende doch nach den schwarzen Lilien des Todes.
Julie Robard-Gendre macht den vierten Akt der Oper "Ariane" von Jules Massenet zum Höhepunkt dieses Abends, weil sie mit ihrer schauspielerischen Begabung, ihrer Körperbeherrschung und der übernatürlichen Ruhe ihres Gesangs wahrlich mystische Tiefen im weltlichen Prinzregententheater aufreißt. Damit ist die französische Sängerin die einzige, die in dieser konzertanten Aufführung des so gut wie unbekannten, 1906 in Paris uraufgeführten Stücks des reifen Massenet ihre Rolle voll entfalten kann. Die anderen Personen verfügen nicht über ihre unangreifbare Haltung und leiden viel mehr unter der Überforderung des Dirigenten.
Laurent Campellone hat alle Hände voll damit zu tun, den Apparat zusammenzuhalten. Leider mit wenig Erfolg, denn dem Chor des Bayerischen Rundfunks kann man bei zu vielen Einsätzen die kollektive Verwirrung anmerken. Das Münchner Rundfunkorchester ist für seine Vielseitigkeit und Reaktionsschnelligkeit bekannt. Doch hier kommt es aus dem Schwimmen kaum heraus, sein Tutti ist seltsam unbehauen, zumal die Streicher stumpf vibratoarm spielen müssen, und Campellone nimmt auf die Sängerinnen und Sänger kein Quäntchen Rücksicht - mit Ausnahme des Tenors Jean-Francois Borras, dem seine Rolle als Minotaurus-Killer Thésée offenbar so ungeläufig ist, dass er an manchen Stellen eigens dirigiert werden muss.
Im Gegensatz dazu ist die Mezzosopranistin Kate Aldrich, die sich als Phèdre in den Mann ihrer Schwester verliebt, vollkommen frei in der Anverwandlung ihrer Rolle, sieht sich aber wegen Campellones Unfähigkeit, das Orchester zu dämpfen, zu ungutem Forcieren genötigt. Der Bariton Jean-Sébastien Bou setzt gleich grundsätzlich so laut ein, wie er kann.
Die meisten Zwischentöne entlockt Amina Edris der titelgebenden Ariane, die von ihrer Schwester verraten wird: Ihre starke Tiefe und dramatische Höhe behauptet sich auch im Tumult, und manchmal setzt sie sich einfach über Campellones mechanisch starre Tempi hinweg.
Dann blüht ihr Sopran zärtlich auf und lässt erahnen, welchen wunderbaren Reiz diese bislang und völlig zu Unrecht vergessene Oper wieder auf uns ausüben könnte.
Ein Mitschnitt erscheint voraussichtlich in der CD-Reihe des Palazzetto Bru Zane - Centre de musique romantique française