Messerattacke

Angriff in Mannheim löst neue Debatte über Abschiebungen aus


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Mitarbeiter der Spurensicherung stehen auf dem Marktplatz hinter einem zertrümmerten Stand.

Von dpa

Der mutmaßlich islamistische Messerangriff von Mannheim hat die Debatte um die ausgesetzten Abschiebungen nach Afghanistan erneut entfacht.

Gesetzlich herrschen dafür derzeit strenge Rahmenbedingungen. Ein Afghane hatte in Mannheim fünf Teilnehmer einer Kundgebung der islamkritischen Bewegung Pax Europa sowie einen Polizisten mit einem Messer verletzt. Der Beamte erlag später seinen Verletzungen.

Seit der Machtübernahme durch die radikal-islamistischen Taliban in Kabul im August 2021 schiebt Deutschland aber niemanden mehr nach Afghanistan ab. Schon in der Zeit davor hatte man sich wegen der damals schon schwierigen Sicherheitslage darauf verständigt, nur Männer - und bevorzugt Straftäter und sogenannte Terror-Gefährder - unter Zwang nach Kabul zu bringen.

Zu den vielen Menschen aus Syrien und Afghanistan, die in den vergangenen zehn Jahren als Asylbewerber nach Deutschland gekommen sind, zählen auch einige, die inzwischen in der Bundesrepublik schwere Straftaten begangen haben oder denen die Polizei zutraut, einen Terroranschlag zu begehen. Obwohl die gesetzlichen Hürden für die Abschiebung jener, von denen eine potenzielle Gefahr ausgeht, niedriger sind als bei anderen Ausreisepflichtigen, gibt es rechtliche und praktische Schwierigkeiten.

Grundlage für die Entscheidung der Ausländerbehörden, die sich mit Unterstützung der Bundespolizei um die Abschiebungen kümmern, ist der jeweils aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amts zur Situation im Herkunftsland. Darin geht es beispielsweise um die Frage, ob dort eine Gefahr für Leib und Leben überall und für jeden herrscht oder etwa nur für Oppositionelle oder bestimmte Volksgruppen. Dieser Bericht wird regelmäßig aktualisiert.

Die Innenministerkonferenz (IMK) von Bund und Ländern hatte im vergangenen Dezember als Problem benannt, dass "schwere Straftäter und Gefährder aus relevanten Herkunftsstaaten, vor allem aus Syrien und Afghanistan, trotz bestehender Ausreisepflicht nach wie vor nicht in ihre Herkunftsstaaten abgeschoben werden können".

Sie bat das Bundesinnenministerium zu prüfen, gegebenenfalls mit dem Auswärtigen Amt und Entwicklungsministerium, auf welchem Weg Abschiebungen und kontrollierte freiwillige Ausreisen dieser Risikogruppen möglich wären. Bis zur IMK-Frühjahrssitzung am 19. Juni soll das Ergebnis der Prüfung vorliegen.

Außerdem stellt sich die Frage, ob man den politischen Preis zahlen will. Denn um Abschiebungen per Flugzeug zu organisieren, müsste es eine Zusammenarbeit mit den Taliban-Machthabern in Kabul oder der für schlimmste Menschenrechtsverletzungen verantwortlichen Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al Assad geben. Zumindest im Falle Afghanistans wird wohl inzwischen eruiert, inwieweit in Einzelfällen eine Rückführung über Nachbarstaaten möglich wäre.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betont, sie sei sich mit ihren Kollegen in den Bundesländern einig, dass in der Abwägung zwischen innerer Sicherheit und dem Bleibeinteresse des Ausreisepflichtigen die Sicherheitsinteressen Deutschlands Vorrang haben müssten. Allerdings müsse jede praktische Möglichkeit, in Länder wie Afghanistan oder Syrien abzuschieben, letztlich auch vor Gericht Bestand haben.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst hat die politische Mitte aufgefordert, Konsequenzen zu ziehen. "Die Menschen schauen, was wir tun, was wir als Vertreter der politischen Mitte jetzt tun", sagte der CDU-Politiker. "Tun wir nichts, versuchen wir uns schon bei der Beschreibung des Sachverhalts in die Ecke zu mogeln, um ja nicht unangenehme Antworten geben zu müssen, dann werden andere diese Antworten versuchen zu geben." Er fügte hinzu: "Scheinantworten mit großer Wahrscheinlichkeit."

Außenministerin Annalena Baerbock sagte in Berlin mit Blick auf mögliche Abschiebungen nach Afghanistan: "In diesem speziellen Fall prüft das Innenministerium seit geraumer Zeit. Das ist alles andere als trivial, denn um zentrale rechtsstaatliche und vor allem Sicherheitsfragen kommt man dabei nicht herum."

Die Grünen-Politikerin erklärte: "Natürlich haben wir ein Interesse, dass Täter, die massive Straftaten begangen haben, beschleunigt zurückgeführt werden", sagte Baerbock. Deswegen habe man die Regeln schon verschärft. Zugleich fragte sie aber: "Wie will man mit einem islamistischen Terrorregime zusammenarbeiten, mit dem wir gar keine Beziehungen haben? Und wie schließen wir aus, dass von dort aus dann nicht der nächste Terroranschlag geplant wird?" Baerbock verwies zugleich darauf, dass Deutschland wie die europäischen Partner keine Botschaft in Afghanistan habe.

Ende April lebten laut Ausländerzentralregister 13.396 ausreisepflichtige Afghanen in Deutschland, allerdings besaßen von 11 666 von ihnen eine sogenannte Duldung, konnten also kurzfristig nicht abgeschoben werden, etwa weil Papiere fehlten oder aus gesundheitlichen Gründen. Unter den 10.026 Syrern, die in dem Register als ausreisepflichtig gespeichert waren, waren 8914 Geduldete. Die Ampel-Koalition hat zwar erst kürzlich eine Gesetzesverschärfung beschlossen, die Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern erleichtern soll.

Im Fall des Angreifers von Mannheim greift diese Reform jedoch nicht: Erstens, weil nach Afghanistan aktuell nicht abgeschoben wird, zweitens weil der junge Mann aus Herat vor der Tat weder der Polizei noch den Nachrichtendiensten bekannt war, und drittens weil er nicht ausreisepflichtig war, sondern eine noch zwei Jahre gültige, befristete Aufenthaltserlaubnis hatte.

Er war 2013 als Teenager ohne seine Eltern eingereist, sein Asylantrag wurde 2014 abgelehnt. Wegen eines Abschiebungsverbots, das wohl wegen seines jugendlichen Alters verhängt wurde, durfte er dennoch bleiben. Seine aktuelle Aufenthaltserlaubnis hängt mit den Familienverhältnissen des jungen Mannes zusammen, der mit seiner deutschen Ehefrau Kinder hat.

Nach der Tat geht es in seinem Fall wohl auch kaum um eine Ad-hoc-Abschiebung. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt machte am Dienstag deutlich, dass bei allem Drängen der Union auf striktere Abschiebungen der Täter seine Strafe zunächst in Deutschland verbüßen müsse.

Die Taliban hatten in den vergangenen Monaten dazu aufgerufen, afghanische Flüchtlinge nicht gegen ihren Willen abzuschieben, äußerten jedoch gleichzeitig Bereitschaft, Rückkehrer aufzunehmen. Dazu, ob abgeschobenen Straftätern in Afghanistan grundsätzlich ebenfalls eine Haftstrafe droht, haben sich die Machthaber in Kabul bisher nicht offiziell geäußert.

Hilfsorganisationen warnen aufgrund der humanitären Katastrophe jedoch vor kritischen Bedingungen für die Rückkehrer. Menschenrechtsorganisationen betonten außerdem, dass vielen Rückkehrern, darunter Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und Mitarbeitern der ehemaligen Regierung, Verfolgung durch Behörden drohe.

Den bisher von keinem Land als Regierung anerkannten Taliban könnten Abschiebungen eine Gelegenheit bieten, ihre politischen Beziehungen mit anderen Staaten auszubauen. "Ich nehme an, dass die Taliban gern die Gelegenheit nutzen würden, mit einem wichtigen westlichen Land zu einem politischen Thema ins Gespräch zu kommen und sich dabei "hilfreich" zu zeigen.

Das wäre ein fatales Zeichen, nicht nur weil afghanische Taliban-Unterstützer den Täter von Mannheim online glorifizieren", warnt der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig. Auch könnten Abschiebungen Schwerkrimineller aus seiner Sicht Türöffner für weitere Abschiebungen werden. "Dann könnte es schnell Mitglieder der großen afghanischen Gemeinde treffen, die vor gewaltbereiten Islamisten zu uns geflohen sind."

Nach Afghanistan schieben derzeit unter anderem die direkten Nachbarländer Iran und Pakistan ab, in denen in den vergangenen Jahrzehnten Millionen Afghanen Schutz gesucht haben. Dies geschieht vor allem auf dem Landweg. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese wies außerdem darauf hin, dass es regelmäßig Abschiebungsflüge aus der Türkei nach Afghanistan gibt. Nach Angaben der türkischen Migrationsbehörde wurden 2022 mehr als 66.000 Afghanen aus der Türkei abgeschoben. Für 2023 lagen keine Zahlen vor.

Vergangenen Oktober kündigte die pakistanische Regierung an, Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus auszuweisen und setze eine Frist zur freiwilligen Ausreise. Nach jüngsten Angaben haben seit Herbst mehr als 560.000 Flüchtlinge das Land Richtung Afghanistan verlassen. Menschenrechtsaktivisten warfen Behörden vor, mit Drohungen und willkürlichen Verhaftungen gegen Geflüchtete vorzugehen. Menschenrechtler und Hilfsorganisationen befürchten eine Ausweitung der Abschiebekampagne auf legal registrierte Flüchtlinge.


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