Politik
Bundeskanzler bei der Siko in München: Ein fast perfekter Scholzomat
17. Februar 2023, 18:28 Uhr aktualisiert am 17. Februar 2023, 18:28 Uhr
München - So emotional war noch nie ein Auftakt zu einer Veranstaltung der Münchener Sicherheitskonferenz. Während der koreanisch-russische Pianist Samson Tsoy ein schwermütiges Stück von Schubert spielte, liefen auf einer großen Leinwand im Ballsaal des Hotels Bayerischer Hof in München die Schreckensbilder des vergangenen Jahres ab - von den massakrierten Menschen auf den Straßen des ukrainischen Butscha bis zum jüngsten Erdbeben im türkisch-irakischen Grenzgebiet.
Damit war auch die Grundmelodie der 59. Sicherheitskonferenz gesetzt: Abschied von einer Neutralität, bei der zuweilen auch der verlogenste Autokratie-Vertreter den roten Teppich ausgerollt bekam.
Selenskyj vermeidet das Wort "Kampfflugzeuge"
Die in München versammelten 40 Staats- und Regierungschefs und 100 Minister aus fast 100 Ländern der Welt konnten auch vergleichen, was ein Jahr Krieg aus dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gemacht haben: 2022 zeigte sich Selenskyj zwar schon höchst alarmiert, aber glatt rasiert im dunklen Anzug des Staatsmanns in München, heute via Video bärtig im olivgrünen Pullover mit tiefen Sorgenfalten und Augenringen.
Fast ist es schon zu einem Ritual geworden, dass sich der ukrainische Ministerpräsident irgendwo aus einem Bunker in Kiew bei internationalen Konferenzen zu Wort meldet und seine Rede mit stehendem Applaus honoriert wird. Die Sicherheitskonferenz machte da keine Ausnahme.
Neuigkeiten, gar erfreuliche, konnte Selenskyj nicht vermelden. Er begab sich stellvertretend für sein von Russland überfallenes Land diesmal in die Rolle des biblischen David, der sich gegen den scheinbar übermächtigen, aber tumben Goliath verteidigen muss. Jetzt brauche dieser David eine hoch wirksame Steinschleuder, variierte der ukrainische Präsident seine anhaltenden Bitten um westliche Waffen.
Natürlich bedankte sich der Ukrainer bei den westlichen Unterstützern, zeigte aber auch Ungeduld. "Verzögerungen nutzen Putin", warnte er, ohne dabei die Worte "Kampfpanzer" oder "Kampfflugzeuge" in den Mund zu nehmen.
Und dann sagte Selenskyj einen Satz, der zu denken gab: Wenn man die russische Aggression besiege, habe man die Chance, "dass sich unsere Freiheit über unsere Grenzen hinaus in den Osten verbreiten kann". Vor Weißrussland und seinen Putin-Vasallen Alexander Lukaschenko fürchtet sich die Staatsführung in Kiew offenbar nicht so sehr.
Nach dem emotionalen Auftakt wurde es hanseatisch-kühl: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte seinen Kurs in der Ukraine-Krise. Es gelte "Sorgfalt vor Schnellschuss" und "Zusammenhalt vor Solovorstellung". Seine Regierung habe schon mit vielen Grundsätzen der bundesrepublikanischen Politik gebrochen wie etwa das strikte Verbot von Waffenlieferungen in Krisengebiete, gab der Kanzler jenen zu bedenken, die das Vorgehen Berlins als zu zögerlich kritisieren. Gute Nachrichten konnte auch Scholz nicht präsentieren: "Man muss sich auf einen lang anhaltenden Krieg vorbereiten", sagte er auf Nachfrage der US-Journalistin Christiane Amanpour.
Ihr gelang es, den "Scholzomaten" ein klein wenig zu ärgern, indem sie die Frage der Kampfflugzeuge ansprach. Werde es wie bei den Kampfpanzern wieder ein deutsches "Nein, Nein, Nein, Nein, Ja" geben, fragte die Amerikanerin. Jetzt müsse man erst einmal dafür sorgen, dass das Gelieferte auf dem Schlachtfeld auch funktioniert, gab Scholz etwas unwirsch zurück. Beim Thema der Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine sah sich der Kanzler dann wieder in der Offensive: Die Frage, warum es damit jetzt so hake, müsse man "anderen stellen, vor allem denen, die mich besonders bedrängt haben."
Nach Scholz sprach Frankreichs Präsident Macron. Er widmete sich dem Phänomen, weswegen Scholz-Vorgänger Helmut Schmidt einen Besuch beim Arzt empfohlen haben soll, nämlich den Visionen. Schon jetzt, mahnte der französische Präsident, müsse man den Frieden vorbereiten, um nicht hopplahopp faule Kompromisse eingehen zu müssen.
Der Chef der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich richtete den Blick in den globalen Süden, bei dem die reichen Länder "mehr Glaubwürdigkeit" erlangen müssten. Nach dem Bruch des internationalen Rechts durch Russland müsse eine "inklusive" Weltordnung gefunden und ausbalanciert werden.
Die Namen von "Schwellenländern" wie Brasilien, Indien, Südafrika, Indonesien und Mexiko fielen schon am ersten Tag vergleichsweise oft am Rande der Konferenz. Die Welt nach dem Ukraine-Krieg werde auf jeden Fall eine "multipolare" sein, sagte auch Scholz. "Es gibt so viele Länder, die gute Partner wären, wenn wir endlich in Dialog mit ihnen treten würden." Ein Anfang sollte am Samstag gemacht werden.