Sportmedizin
Der Kreuzbandriss und seine Folgen - Wann darf ich wieder voll angreifen?
12. August 2015, 14:09 Uhr aktualisiert am 12. August 2015, 14:09 Uhr
Christian Zantop ist Diplom-Sportwissenschaftler, Fitness-Sportler und Tennisspieler. Studiert hat er an der Deutschen Sporthochschule Köln. Außerdem ist er wissenschaftlicher Leiter und Initiator des Projekts "Return-to-Play", hinter dem mehrere Mitarbeiter stehen. Was es mit seinem Projekt auf sich hat, verriet er uns im Interview.
Herr Zantop, sie machen Vor- und Nachuntersuchungen von Patienten, die Probleme mit dem vorderen Kreuzband haben. Was machen sie dabei konkret?
Christian Zantop: Eines wollen Sportler natürlich immer sofort wissen: "Wann darf ich wieder?" Meist hört man diese Frage sogar schon vor der Operation (OP). Konkret zu beantworten ist sie aber nicht. Früher wurde Zeit als Parameter genommen. Der Arzt hat gesagt, mit welcher Anzahl an Wochen oder Monaten Pause der Patient zu rechnen hat und damit war die Sache durch. Heute weiß man es besser. Was wir machen, nennt sich multiparametrische Bewegungsanalyse. Dabei untersuchen wir, wie sich das Knie oder das Kreuzband unter matchtypischen Belastungen bestimmter Sportarten verhält. Viele Patienten wissen oft nicht, was sie ihrem Knie zutrauen können.
Auf ihrer Homepage steht im Wortlaut: Hauptaugenmerk ist das individuelle Rehabilitationspotential nach operativer oder konservativer Behandlung. Was heißt das auf deutsch?
Zantop: Das Rehabilitationspotential zu ermitteln, heißt nichts Anderes als nach einer OP festzustellen, welche Stabilität zum Beispiel im Knie bereits wieder vorhanden ist. Zu meiner Arbeit gehört aber auch das sogenannte Screening. Dabei werden gesunde Menschen untersucht, denen man danach oft mitteilen muss: "Wenn du deinen Sport mit dieser Bewegungsqualität weitermachst, reißt du dir bald was". Prävention lautet also das Stichwort.
Können Sie durch ihre Erfahrung mit der Zeit schneller entscheiden, wie es um das Rehabilitationspotential eines neuen Patienten bestellt ist, oder sieht jedes (vordere) Kreuzband für Sie wieder völlig neu aus?
Zantop: Generell wird jeder neue Patient am Anfang ganz neutral betrachtet, ohne große Vorannahmen. Typische Extremfälle kommen aber auch nicht selten vor, wo ich im ersten Moment sehe, dass ich dasselbe Bild zum wiederholten Mal sehe. Ein Paradebeispiel dafür sind weibliche Patienten, die in einen funktionellen Valgus fallen (extreme X-Bein- Stellung) In diesen Situationen weiß man schneller, worauf man sich beim Test der Belastbarkeit konzentrieren muss.
Probleme am vorderen Kreuzband sind der Klassiker unter den Sportverletzungen - vor allem im Leistungssport. Warum?
Zantop: In erster Linie ist das Kreuzband ein Hauptstabilisator des Kniegelenks. Vor allem das vordere Kreuzband wird bei sehr vielen Sportarten längere Zeit durchgehend stark beansprucht - egal ob bei Landungen, Richtungswechseln oder sonstigen sportarttypischen Bewegungsmustern.
Sie haben selbst hochklassig Handball gespielt und sind heute noch auf dem Tenniscourt zu finden. Ihr Bruder und Mitinitiator Dr. Thore Zantop stand fest im Erstligakader des VFL Bad Schwartau. Wurden sie auch von eigenen Erfahrungen in ihrem Vorhaben bestärkt, "Return-to-Play" ins Leben zu rufen?
Zantop: Auf jeden Fall! Ich habe mir selber mit Mitte 20 das hintere Kreuzband gerissen. Ich habe damals zusammen mit meinem Bruder in der zweiten Mannschaft des THW Kiel in der Oberliga Handball gespielt. Somit habe ich einen Sport betrieben, bei dem der Körper vielen verschiedenen Belastungen ausgesetzt wird. Als es passiert ist, war mir sofort klar, dass es gerissen ist. Das war für mich dann natürlich ein wirklich schlechtes Timing und eine schwierige Phase. Zum Glück war ich damals bei einem richtig guten Physio in der Reha, der mir auch gleich bestätigte, dass ich mein Kreuzband austesten muss, indem ich die Konfrontation suche. Das habe ich dann auch gemacht. Manchmal lief mein Bruder beim Aufwärmen auch hinter mir und hat sofort gesagt, wenn ihm auffiel, dass mein Lauf hier und da noch unrund war.
Ab und zu kommt es vor, dass Ärzte in Straubing echte Topstars unterm Messer liegen haben. Ihr Bruder hat im vergangenen Mai Elkin Soto vom 1. FSV Mainz 05 am Knie operiert. Wenn Promis von Sotos Format das Programm absolvieren, gibt es wesentliche Unterschiede in der Vorgehensweise gegenüber dem durchschnittlichen Freizeitsportler?
Zantop: Grundsätzlich wird jeder Patient erst einmal gleich betrachtet. Trotzdem bedarf es bei Profisportlern oft einer Anpassung der Ansprüche und Erwartungen. Mit ihnen kann man mehr ans Limit gehen, da sie von Natur aus leistungsfähiger sind. Außerdem eignen sich bei Profis eher sportartspezifische Tests, die sich nur auf ihren Sport beziehen.
Für welche Zielgruppe ist "Return-to-Play" ausgelegt? Gibt es Altersgrenzen und ist es für jeden Typ Sportler geeignet?
Zantop: Er kann zwar von jedem absolviert werden, allerdings machen nicht alle zwingend dieselben Tests. Man unterscheidet im Sport zwischen Level 1, 2 und 3 -Sportarten. Zu Level 3 gehört zum Beispiel Laufen, da man dabei keine besonderen Bewegungen macht. Die machen dann bei uns auch nur den ersten Test. Zu den Level 1- Sportarten gehören etwa Handball und Basketball mit vielen Richtungswechseln Sprüngen, etc. Zusätzlich gibt es drei Stufen unseres Projekts. Die erste heißt "Return to activity", die zweite "Return to play/sports" und die dritte "Return to competition". Bei der Letztgenannten befindet sich der Sportler dann kurz vor dem Wiedereinstieg in den Spielbetrieb.
Sehen Ihre Patienten immer gleich den Sinn hinter dem Ganzen oder gibt es auch welche, die eher unmotiviert wirken und nur an ihre sofortige Rückkehr aufs Feld denken?
Zantop: Es freut mich ganz besonders, dass alle erstaunlich motiviert sind und ihre Sache wirklich ernst nehmen. Die Leute geben Vollgas, allerdings im Sinne der Prävention und ohne es dabei mit ihren individuellen Problemstellen zu übertreiben.
Vielen Dank für das Interview!