Seenotfall
Libysche Miliz feuert Warnschüsse auf "Alan Kurdi"
27. Oktober 2019, 10:20 Uhr aktualisiert am 27. Oktober 2019, 10:20 Uhr
Gefährlicher Zwischenfall in internationalen Gewässern vor Libyen. Dort feuerte die Miliz bei einem Seenotfall Warnschüsse auf das deutsche Rettungsschiff "Alan Kurdi".
Die Hilfsorganisation "AlarmPhone" informierte Sea-Eye's "Alan Kurdi" und die zuständigen Behörden am Samstag über einen Notruf von einem Schlauchboot in internationalen Gewässern. Das Suchflugzeug "Moonbird" von Sea-Watch entdeckte das Schlauchboot auf einem Flug über die Libysche SAR Zone und konnte die Koordinaten weiterleiten. Die "Alan Kurdi" war das erste Schiff vor Ort. Die Rettungscrew begann umgehend mit der Verteilung von Rettungswesten und evakuierte die ersten Personen. Das Schlauchboot war völlig überladen und Wasser drang ein. "Plötzlich näherten sich drei schwer bewaffnete Schnellboote mit libyscher Flagge", berichten Sea-Eye-Sprecher.
Die Libyer versuchten immer wieder sich zwischen dem Schlauchboot und der "Alan Kurdi" zu positionieren, um die Rettung zu unterbrechen. Panisch sprangen Menschen von dem weissen Schlauchboot, um die Rettungsboote der "Alan Kurdi" zu erreichen. Die Libysche Miliz drohte der Kapitänin über Funk mit der Ausrichtung des Bordgeschützes auf ihr Schiff. Die Kapitänin schickte den Großteil der Crew in die Messe, den hintersten Teil des Schiffes, um deren Gefährdung zu minimieren. "Eine solche Konfrontation zählten wir immer zu den unwahrscheinlichsten Szenarien. Dennoch haben wir auch solche Momente vorbesprochen und Verhaltensweisen trainiert", sagt Jan Ribbeck, Director of Mission bei Sea-Eye e.V.
Die Lage eskalierte weiter durch Warnschüsse in die Luft und in das Wasser. Die Libyer richteten ihre Waffen auf die Menschen im Wasser. Head of Mission Joshua Wedler beschreibt, dass die "Alan Kurdi" zu diesem Zeitpunkt manövrierunfähig war, weil sich die libyschen Boote so positionierten, dass das Schiff weder vor noch zurück steuern konnte. Bei einer Kollision zwischen der "Alan Kurdi" und dem Schlauchboot stürzten viele Menschen ins Wasser. Menschen, die von der libyschen Miliz an Bord genommen worden sind, sprangen direkt zurück ins Wasser.
"Unglaublich und schockierend"
Zu Land bat Sea-Eye das Auswärtige Amt um dringende Unterstützung, um ein schweres Unglück zu vermeiden. "Der Kontakt zum Schiff brach für fast eine Stunde ab. Bei der Informationslage hatten wir auch große Sorge um das Leben unserer eigenen Besatzung", sagt Ribbeck weiter. Doch die Crew zog alle Menschen aus dem Wasser und aus dem Schlauchboot auf die "Alan Kurdi". Zu diesem Zeitpunkt endete die gefährliche Auseinandersetzung.
90 Überlebende befinden sich nun zusammen mit 17 Crewmitgliedern auf dem deutschen Rettungsschiff "Alan Kurdi". Die Crew blieb unversehrt. "Ich bin total schockiert, was heute hier geschehen ist und bin glücklich, dass meine Crew unverletzt blieb. Nun kümmern wir uns erstmal um die geretteten Menschen", sagt Kapitänin Beuse. Das medizinische Team fürchtet derweil um das Leben eines ungeborenen Kindes. Eine schwangere Frau leidet unter schweren Unterleibsblutungen. Jan Ribbeck hat die italienischen und maltesischen Behörden um eine Evakuierung der Frau gebeten. "Wir fürchten, dass die junge Mutter ihr Baby bei diesem Vorfall verloren hat", sagt Ribbeck.
"Es ist ein unglaublicher und schockierender Fakt, dass hier europäische, zivile Rettungskräfte von Personen bedroht und gefährdet worden sind, die von den eigenen Heimatländern der Rettungskräfte bei völkerrechtswidrigen Bemühungen unterstützt werden, Menschen von der Flucht aus Libyen abzuhalten", sagt Gorden Isler, Sprecher von Sea-Eye e.V. "Das heute keine Menschen zu Schaden kamen, ist allein dem professionellen und deeskalierenden Verhalten unserer Besatzung zu verdanken. Wir sind glücklich, dass sie gesund zu ihren Familien zurückkehren werden", sagt Isler weiter.
Am Abend schreibt der Libysche Offizier Mohamed AL ABUZIDI der "Alan Kurdi", dass Tripolis der "Place of Safety" für die geretteten Menschen sein soll. Unter Hinweis auf das Völkerrecht lehnte die Sea-Eye-Einsatzleitung den zugewiesenen Hafen ab und nahm Kurs auf die italienische Insel Lampedusa.