Die größten olympischen Momente

Tommie Smith: Eine Faust als Stimme des Protests


Tommie Smith zahlte einen hohen Preis für seine Aktion. Er verlor den Job, viele Freunde wendeten sich ab.

Tommie Smith zahlte einen hohen Preis für seine Aktion. Er verlor den Job, viele Freunde wendeten sich ab.

Von Guido Verstegen / Online

Bei den Olympischen Spielen 1968 sorgen die US-Athleten Tommie Smith und John Carlos mit einem Anti-Rassismus-Protest für einen Skandal.

Manchmal müssen eben Fäuste sprechen. Wenn der Dialog, die ausgestreckte Hand, der mahnende oder anklagende Zeigefinger keine Wirkung entfalten, dann bleibt nur noch die Faust. Der Amerikaner Thomas C. Smith, den alle nur Tommie nennen, und sein Landsmann John Carlos ließen an diesem 16. Oktober 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko-Stadt die Fäuste sprechen.

Es war das Jahr, in dem die amerikanische Bürgerrechtsikone Martin Luther King, der zuvor den Kampf gegen den eklatanten und teils institutionalisierten Rassismus in den USA geführt hatte, am 4. April in Memphis/Tennessee ermordet worden war.

Am Morgen dieses 16. Oktober hatte Smith, der als Kind extrem kränklich war, über die 200 Meter die Goldmedaille in der Weltrekordzeit von 19,83 Sekunden ersprintet. Silber holte sich der Australier Peter Norman, Bronze ging an Carlos. Doch der Moment, der in die Geschichte eingehen würde, der eines der ikonischsten Fotos der Sport-Historie produzieren sollte, passierte erst bei der Siegerehrung.

Tommie Smith (rechts) gewinnt Olympia-Gold 1968 in Mexiko-Stadt, John Carlos holt sich Bronze.

Tommie Smith (rechts) gewinnt Olympia-Gold 1968 in Mexiko-Stadt, John Carlos holt sich Bronze.

Smith-Protest erschüttert das IOC in seinen Grundfesten

Ein Moment, der das Internationale Olympische Komitee IOC, das sich die Neutralität, die nichtpolitische Gesinnung so plakativ, so durchschaubar verlogen auf die Fahne mit den fünf Ringen geschrieben hatte, in seinen Grundfesten erschüttern sollte. Smith und Carlos betraten ohne Schuhe, nur in schwarzen Socken, die die Armut der schwarzen Bevölkerung repräsentieren sollten, die Arena. Smith trug noch einen schwarzen Schal, der für den Stolz der Schwarzen stand.

Carlos hatte den Reißverschluss seines Trainingsanzugs geöffnet, um seine Solidarität mit den Arbeitern (Blue collar workers) auszudrücken. Um den Hals trug er eine Kette mit Holzperlen, von denen jede einzelne für die stehen sollte, "die gelyncht oder ermordet wurden und für die keiner ein Gebet spricht, die erhängt oder geteert und gefedert wurden".

Als zur Ehrung des Siegers die US-Nationalhymne "Star Spangled Banner" ertönte, senkten beide die Köpfe. Smith reckte die rechte Faust, die in einem schwarzen Handschuh steckte, empor, Carlos die linke Handschuhfaust. Eigentlich wollten sie beide ein Handschuhpaar tragen, doch Carlos hatte seine im olympischen Dorf vergessen.

Die schwarze Faust: Smith (Mitte) und Carlos protestieren bei der Siegerehrung, Norman (links) solidarisiert sich im Stillen.

Die schwarze Faust: Smith (Mitte) und Carlos protestieren bei der Siegerehrung, Norman (links) solidarisiert sich im Stillen.

Smith: "Wir haben während der Nationalhymne gebetet"

Der Australier Norman, ein ausgesprochener Gegner der rassistischen "White Australia Policy", trug, wie die anderen beiden auch, einen Anstecker der Menschenrechtsbewegung "Olympic Project for Human Rights (OPHR)", schlug vor, dass nur jeder einen Handschuh für den Protest tragen sollte.

"Wir haben die ganze Zeit während der Nationalhymne gebetet", erinnerte sich Smith, "es war auch kein Black Power Salute, wie fälschlich interpretiert wurde, es war ein Human Rights Salute, eine Geste für die Menschenrechte."

Black Power war eine, teils radikale, Widerstandsbewegung gegen den Rassismus in den USA. Als Smith und Carlos das Stadion danach verließen, wurden sie vom Publikum ausgebuht.

"Wir haben mit der Aktion denen, die keine Stimme haben, eine Stimme gegeben. Und das, obwohl wir nicht ein Wort gesagt haben. Wenn ich gewinne, bin ich ein Amerikaner, kein schwarzer Amerikaner. Aber immer, wenn ich in ihren Augen etwas Schlechtes getan habe, sagen sie, ich sei ein Neger. Wir sind schwarz und wir sind stolz darauf. Das schwarze Amerika versteht, was wir heute gemacht haben", sagte Smith.

Doch das weiße Amerika und das IOC verstand sie nicht, wollte sie nicht verstehen. Das "Time"-Magazin titelte: "Wütender, bösartiger, hässlicher". Sie wollten damit zeigen, dass das Olympische Motto des "höher, schneller, weiter" durch die Aktion in den Dreck gezogen worden sei.

Engagiert sich sein Leben lang im Kampf gegen Rassismus: Tommie Smith.

Engagiert sich sein Leben lang im Kampf gegen Rassismus: Tommie Smith.

Smith zahlte einen hohen Preis für seine Aktion

IOC-Präsident Avery Brundage, ein Amerikaner, der sich 1936 dafür stark gemacht hatte, dass es keinen Boykott der USA der Propaganda-Spiele von Adolf Hitler 1936 in Berlin gegeben hatte, ordnete den Rauswurf der beiden Athleten aus dem olympischen Dorf an.

Als der US-Verband sich dem Dekret nicht unterwerfen wollte, drohte Brundage mit dem Ausschluss des gesamten US-Leichtathletik-Teams. "Die Aktion war ein willentlicher und gewaltsamer Bruch der fundamentalen Prinzipien der olympischen Idee", lautete die Begründung. 1936 hatte Brundage, damals Präsident des US-Olympischen Komittees, kein Problem, dass die deutschen Athleten den Hitlergruß ausführten. Dies sei ein "nationaler, deutscher Gruß".

Smith zahlte einen hohen Preis für seine Aktion. Er verlor den Job, viele Freunde wendeten sich ab. Doch er hatte eine Berufung gefunden, den Kampf für Menschenrechte, gegen Rassismus. Er, der bis zum heutigen Tag keine Entschuldigung des IOC für den Rauswurf erhielt, unterstützte etwa den American-Football-Spieler Colin Kaepernick. Der war 2017 als Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus beim Abspielen der US-Hymne vor den Partien aufs Knie gegangen und dafür von US-Präsident Donald Trump als Hurensohn beleidigt worden.

Leider ist die Ursache für den Protest von Smith und Carlos fast 52 Jahre später noch genauso aktuell wie damals. Der Tod des Schwarzen George Floyd Ende Mai, der verstarb, nachdem ein Polizist dem am Boden Liegenden mit dem Knie am Hals die Luftzufuhr für acht Minuten und 46 Sekunden abgeschnitten hat, zeigt, wie sehr Rassismus und Polizeigewalt immer noch in der US-Gesellschaft verwurzelt sind. "Es hat sich einiges getan, aber nicht genug", sagt Smith, "der Kampf geht weiter". Die Faust ist immer noch im Protest erhoben.

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