Der Landshuter Gymnasiast Niklas Stobinski (16) steht im Ausguck. Während er den Blick über das endlose Wasser des Atlantiks schweifen lässt, freut er sich insgeheim schon wieder auf seine warme Koje. Niklas hat die Chance bekommen, bei dem Projekt Klassenzimmer unter Segeln (KUS) der Universität Nürnberg-Erlangen dabei zu sein. Zusammen mit 29 anderen Jugendlichen fährt er ein halbes Jahr lang auf einem Traditionssegler um die Welt, entdeckt andere Länder und kann unschätzbare Erfahrungen sammeln. Anstatt New York, Rio, Tokio, heißt es Teneriffa, Kuba, Panama, Azoren und Bermudas. Den Atlantik überqueren, in einer Hängematte im Regenwald schlafen und Schule auf offener See zu haben, sind Dinge, die sich an der Schulbank zu Hause nur erträumen lassen.

Niklas hat geträumt und er hat es geschafft: Sein Zuhause für die nächsten sechs Monate ist nun die "Thor Heyerdahl", ein traditioneller Dreimaster mit 14 Segeln. Das bedeutet nicht nur Abenteuer, sondern auch viel Arbeit rund um die Uhr. Deshalb muss Niklas sich noch ein wenig gedulden, bis er wieder unter seine, um halb fünf verlassene Bettdecke kriechen darf. Doch bis es so weit ist, wird er wahrscheinlich noch Ruder gehen und helfen, verschiedene Segel zu setzen oder zu bergen. Nicht nur als Rudergänger liegt eine große Verantwortung auf ihm, auch in anderen Bereichen der dreistündigen Wache muss verantwortungsvoll gehandelt werden. Wirklich ausruhen kann Niklas sich nach getaner Arbeit nicht, weil seine Aufgabe mit einmal täglich Wache gehen nicht abgeschlossen ist.

Mindestens sechs Stunden am Tag fährt er mit seiner Wachgruppe das Schiff. So kann er einerseits in seiner Nachtwache einen wunderschönen Sonnenaufgang genießen und ,wenn er Glück hat, Delfine beim Springen beobachten, während die Thor ächzend und stöhnend mit dem Wind spielt. In seiner Tageswache wiederum kann er die feuerrote Sonne in der schäumenden See versinken sehen, während er gerade im Rigg hoch über dem Wasser Segel ein-, oder auspacken soll.Dort fühlt Niklas sich am Wohlsten: "Auf der Saling, einem kleinen Gerüst auf etwa 20 Meter Höhe, genieße ich die endlose Weite des Meeres. Dort oben fühle ich mich irgendwie befreit. Befreit vom grauen Schulalltag und losgelöst von allem Normalen. Mir wird bewusst wie groß der Atlantik eigentlich ist - er ist eben nicht nur ein blauer Fleck im Schulatlas sondern Wasser soweit das Auge reicht. Der Atlantik bedeutet für mich Spaß, Spannung und Abenteuer."

Backschaft wiederum ist etwas ganz anderes. Träumend steht Niklas in der kleinen, schwankenden Kombüse. Mit gleichmäßigen Zügen rührt er durch den großen, schweren Topf voller Spagetti. Immer wieder fährt ihm ein heißer Schwall Wasserdampf über seine völlig aufgeweichten Hände, mit denen er zuvor das Geschirr von fast 50 Personen abgewaschen hat. Backschaft heißt drei Mal am Tag kochen, Tische decken, die hungrige Meute bedienen, die Tische wieder abräumen, spülen und zum Schluss aufräumen. Es ist ein 15 Stunden Tag, von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, ohne richtige Pause. Wenn man gerade den Obstsalat fürs Frühstück fertig gemacht hat, muss das jeweils vierköpfige Küchenteam schon wieder anfangen, Paprika für das Mittagessen zu schneiden.

Das einzige, was da noch retten kann sind nette Mitbackschafter und laute Musik, ein richtiges Privileg und nur in der Kombüse erlaubt. Dann geht der Abwasch gleich viel leichter von der Hand. Dabei gilt es aber, den Seegang zu beachten; Die Seekrankheit mit Müdigkeit, Übelkeit und Erbrechen nach Lee haben zwar alle schon überwunden, weshalb der Bordalltag nun wieder ohne Ausfälle abläuft. Dagegen sind viele Gegenstände nicht als "seefest" zu bezeichnen: So sollte ein Kochmesser zum Beispiel nicht einfach zur Seite gelegt werden. Auch zerbrechliche Dinge wie Teller oder Schalen können bei einer starken Welle zu Geschossen werden, die leicht zu Bruch gehen und auf See schwer zu ersetzen sind. Selbst die Kochtöpfe müssen auf dem Herd gesichert werden, damit sich nicht die fast fertig gekochte Mahlzeit über den Kombüsenfußboden ergießt.

Tags darauf sitzt Niklas im Navigationsraum und sucht die richtigen Seekarten für die weitere Reise bis Teneriffa heraus. Seit er Navigationsbeauftragter ist, gehört diese Tätigkeit für ihn zum Bordalltag. Auch dazu gehört eine Menge Verantwortung, und Niklas will sich keinen Fehler erlauben. Damit die Gemeinschaft an Bord überhaupt funktionieren kann, ist jeder Schüler einer Beauftragung zugeteilt. Unter der Leitung eines Stammmitglieds sind immer zwei bis sechs Schüler für eine "alltägliche Arbeit" wie Wäsche waschen, Müll sortieren oder Brotbacken eingeteilt. Wie in einer "großen Familie" muss jeder für den Anderen Verantwortung übernehmen, damit der Bordalltag überhaupt funktionieren kann. Schließlich hat Niklas die gesuchte Seekarte gefunden. Er breitet sie auf dem beleuchteten Kartentisch aus, um die aktuelle Position einzutragen. Diese Beauftragungen können manchmal ganz schön stressig sein, vor allem, weil durch Wache, nautische Ausbildung und Backschaft sowieso wenig freie Zeit bleibt!

Das alles nimmt Niklas aber gerne in Kauf: "Zurück im Ausguck, die Augen auf den Horizont gerichtet, fällt mir auf, wie meine Perspektiven sich ändern; Vieles, was sonst selbstverständlich ist, ist hier Luxus, und ich beginne, es als solchen anzusehen; ich lerne, die einfachen Dinge wieder wertzuschätzen. Im Gegensatz zu den Gewohnheiten daheim gibt es beispielsweise Nutella nur donnerstags und sonntags und Duschen kann man in "Knappwasserzeiten" höchstens alle drei bis vier Tage. Auch die Mahlzeiten beispielsweise sind laut, es ist oft eng und unbequem, und doch freue ich mich jedes Mal darauf, mit allen anderen zu plaudern und zu scherzen. Und dann, wenn ich mich nach dem heimischen "Luxus" sehne, wird mir erst die volle Tragweite des Projekts bewusst: Ich erkenne, dass ich dabei bin, mich für sechs Monate auf diese neue Lebensform einzulassen, und manchmal bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich immer damit klar kommen werde. Ich bin gespannt, wie ich darüber in sechs Monaten denken und an dieser Stelle berichten werde. Doch eines weiß ich ganz bestimmt: Das hier ist das Abenteuer meines Lebens!"

Autoren: Annika Essigkrug (15), Tamara Bollendorf (16), Verena Krappitz (15), Cathy Reuter (15), Jan-Felix Schneider (15), Niklas Stobinski (16)